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Mit Beuys ist das so eine Sache

Und dann verließen sie ihn: Wie und warum sich die Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Wulf Herzogenrath trennte und was Konzeptionen und Kommerz damit zu tun haben  ■ Von Ulrich Clewing

Wulf Herzogenrath, Hauptkustos der Neuen Nationalgalerie, wird Berlin in Kürze verlassen. Bis zu seiner Degradierung im Januar 93 durch Wolf-Dieter Dube, den Generaldirektor der Staatlichen Museen, war er designierter Leiter des Museums für zeitgenössische Kunst im Hamburger Bahnhof. Nun übernimmt er ab September die Stelle des Direktors der Kunsthalle — in Bremen.

Der Fall Herzogenrath war seit einiger Zeit vorherzusehen, und gerade deswegen lohnt sich eine Rekapitulation, wirft er doch ein bezeichnendes Licht auf das Innenleben der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, seit Dube, intern nur „der General“ genannt, dort das Sagen hat. Herzogenrath wurde demontiert, weil es Streit gab. Streit zwischen ihm und dem Kunsthändler Heiner Bastian, der als Treuhänder der Stiftung Marx die Interessen des Kunstsammlers und Hauptleihgebers im Hamburger Bahnhof, Erich Marx, vertritt.

Im Laufe der Verhandlungen über die Übernahme der Sammlung Marx hatte Bastian Herzogenrath vor versammelter Führungsmannschaft „Inkompetenz“ und „mangelndes Engagement“ vorgeworfen und angedroht, die Gespräche platzen zu lassen, falls Herzogenrath weiterhin die Verantwortung für den Hamburger Bahnhof trage.

Dube zog umgehend Konsequenzen. Anstatt seinem Mitarbeiter den Rücken zu stärken, deckelte er ihn: Herzogenrath habe den „Konsens“ mit dem Sammler in „nicht ausreichendem Maße“ gesucht. Dann beauftragte Dube Peter-Klaus Schuster, den stellvertretenden Direktor der Neuen und Direktor der Alten Nationalgalerie, mit der kommissarischen Leitung des Hamburger Bahnhofs – nach „Gutsherrenart“, schrieb sogar das Handelsblatt.

Mangelndes Engagement aber kann man Herzogenrath nicht so ohne weiteres vorwerfen. Mit Hilfe der zahlungskräftigen Freunde der Nationalgalerie sowie der Klassenlotterie hatte er eine ganze Reihe von Arbeiten von Künstlern angekauft, die nicht in der Sammlung Marx enthalten sind: Videoskulpturen von Nam June Paik und von Marie Jo Lafontaine etwa, von Gary Hill und Bill Viola sowie eine computergesteuerte Licht-Ton-Installation von John Cage.

Ob sich diese Neuerwerbungen allesamt auf „niederem Niveau“ bewegen, wie Bastian meint, sei dahingestellt. Jedenfalls ist dem Hamburger Bahnhof durch Herzogenraths Zurücksetzung auch schon einiges durch die Lappen gegangen. So scheiterte eine anvisierte Dauerleihgabe des Gesamtwerkes der Fotografen Bernd und Hilla Becher am Desinteresse des neuen „Koordinators“ Schuster. Wenn man Herzogenrath etwas vorwerfen kann, dann, daß er sich, nachdem er ausgebootet worden war, nicht vehementer für seine Positionen eingesetzt hat. Immerhin vergingen zwischen seiner Degradierung und deren Bekanntwerden ganze neun Monate.

Gestrauchelt ist Herzogenrath auch, weil bei dem Streit mit Heiner Bastian zwei grundverschiedene Museumskonzeptionen aufeinanderprallten. Während Herzogenrath verschiedene künstlerischen Medien vermischen will, gilt Bastian als Anhänger einer konventionellen musealen Ausstellungsform. Dazu muß man wissen, wie die Sammlung Marx beschaffen ist.

Neben wichtigen Arbeiten von Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Cy Twombly und einer ganzen Reihe eher mittelmäßiger Maler der italienischen Transavantguardia (Chia, Clemente, Cucchi) sowie der zeitgleichen deutschen Jungen Wilden (Fetting, Dahn, Salome, Dokoupil) finden sich bei Marx vor allem Installationen und Objekte von Joseph Beuys. Und mit der Präsentation von Beuys ist es ja so eine Sache. Dem Bildhauer, Aktionisten, Nonkonformisten und Lehrer Beuys gerecht zu werden ist alles andere als leicht.

Herzogenrath wollte die Installationen und großen bildhauerischen Arbeiten neben die Aktionen und Performances des „Schamanen“ stellen. Zu diesem Zweck initiierte er gemeinsam mit Eugen Blume vom Kupferstichkabinett die Video-Anthologie „Der audio- visuelle Beuys“, wo alle auf Film dokumentierten Happenings von Beuys gesammelt sind. Auch hatte er vor, Beuys in einen zeitgeschichtlichen Rahmen zu stellen, indem er dessen Arbeiten mit Werken von Künstlern wie Paik und Vostell kombinierte.

Bastian hingegen plädiert seit jeher für eine räumliche Trennung des „stillen und des lauten Beuys“, und hat sich damit auch durchgesetzt. Der gesamte linke sogenannte „Ehrenhof-Flügel“ des Hamburger Bahnhofs soll nach Bastians Vorstellungen allein den großen Installationen von Beuys, darunter auch Leihgaben aus Bastians Privatbesitz, vorbehalten bleiben.

Die Werke von Beuys' Zeitgenossen und Weggefährten sowie der „audio-visuelle Beuys“ dagegen werden in separate Räume verbannt. Daß Beuys damit zu einer singulären, von Zeit und Raum losgelösten Erscheinung und seine Arbeit in Haupt- und Beiwerk zerlegt wird, stört Bastian nicht. Im Gegenteil: Hier kommen ja wirtschaftliche Interessen ins Spiel. Hauptwerke sind wertvoller als Marginalien.

Ein Nachfolger für Herzogenrath ist noch nicht in Sicht. Ob die Stelle neu ausgeschrieben wird, entscheidet sich in den nächsten Wochen. Ebenso unsicher ist, wer denn nun die Leitung des Hamburger Bahnhofs übernimmt, wenn das Museum Anfang 1996 eröffnet. „Die Überlegungen“, so Dube, „gehen in alle Richtungen.“ Der neue Leiter könne sowohl intern als auch von außen rekrutiert werden. Und vielleicht gibt es da ja noch eine handfeste Überraschung. Dube selber soll ein Auge auf den prestigeträchtigen Posten geworfen haben. Der Generaldirektor als Abteilungsleiter der Neuen Nationalgalerie?

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