: Chefchirurg auf schwarzer Liste
Charité-Professor Siegfried Vogel soll wegen „Staatsnähe“ zur DDR nicht erneut berufen werden / Ärztekammerpräsident Ellis Huber spricht von „moralischer Katastrophe“ ■ Von Frank Kempe
Der Karrieresturz eines „Chirurgen mit Weltruf“ könnte tiefer nicht sein: Professor Siegfried Vogel, einst von der Fachwelt umgarnter und mit Lob überhäufter Chefarzt der Charité, droht zum Jahresende der Gang zum Berliner Arbeitsamt. Der 50jährige Operateur, der sich seit Oktober 1993 einer Schmutzkampagne unter deutschen Krankenhausdächern ausgesetzt sieht, wird sich vermutlich im Ausland nach einer neuen Stellung umsehen müssen. Dort, wo sein Ruf noch nicht unter den an der Spree verbreiteten „Lügen und Diffamierungen“ gelitten hat. Vogel, der auf einer amerikanischen Rangliste der 150 weltbesten Neurochirurgen als einer von drei deutschen Ärzten geführt wird, soll abgewickelt werden – nach 25 Jahren Dienst am Kranken in der Charité.
Bis zum Jahreswechsel soll er seinen Posten als Chefarzt der Neurochirurgischen Abteilung am Klinikum der Humboldt-Universität räumen – „Staatsnähe“, zuviel Tuchfühlung mit den DDR-Regenten wird ihm angelastet. Der Name des bis vor kurzem noch wohlgelittenen Weißkittels, noch im November 1992 wie selbstverständlich auf Platz eins der Berufungsliste der Klinik, steht jetzt auf einem ganz anderen Blatt Papier: der schwarzen Liste der Berufungskommission. Der Grund: Das SED-Mitglied Vogel war von 1986 bis 1988 Direktor für Medizinische Betreuung an der Charité. Ein zweijähriges Intermezzo als „Funktionsträger“ im Einheitsstaat, das dem erst wenige Wochen vor dem Mauerfall zum Professor ernannten Mediziner jetzt beruflich zum Verhängnis werden könnte. Denn nach dem im Juni 1992 erlassenen „Hochschulpersonalübernahmegesetz“ darf nicht berufen werden, „wer in herausgehobener Position oder sonstiger Funktion auf nachhaltig wirksame Weise zur Stabilisierung des Herrschaftssystems der DDR beigetragen hat“.
Gleichwohl machte die Berufungskommission, die im November 1992 die Professorenriege neu benennen mußte, Vogel zu ihrem Spitzenkandidaten. Doch als der Senat Monate später beim Klinikum auf die strikte Einhaltung des neuen Gesetzes pochte, das eine Überprüfung der „persönlichen Integrität“ der Bewerber vorschreibt, kam alles anders: Das Berufungsgremium spurte und befand im vergangenen Oktober, Vogel könne aufgrund seiner unrühmlichen Rolle zu DDR-Zeiten kein politischer Persilschein ausgestellt werden. Eine zweite Ausschreibung wurde angesetzt, auf der daraus entstandenen Berufungsliste taucht der Name Vogel nicht mehr auf – der Erstplazierte ist jetzt ein Kollege aus Essen.
Doch noch schöpft Vogel Hoffnung: Immerhin habe der Akademische Senat der Humboldt-Uni im Juni die Liste abgelehnt. Insgesamt 14 der 20 Mitglieder hätten damit ihre Zweifel an der „Rechtsstaatlichkeit des Abbruchs“ im ersten Berufungsverfahren bekundet. „Die Sache“, sagt Vogel, „liegt jetzt erst einmal auf Eis.“ Für Harald Mau, Dekan der Charité, ist der Fall hingegen „längst gegessen“. Nach langwierigen Beratungen und etlichen Anhörungen habe Vogel die gesetzlich geforderte politische Integrität eben nicht attestiert werden können. Schluß, basta. Im übrigen sei Vogel „nicht der einzige, dem derartiges widerfahren ist“.
Manche Charité- Beschäftigte stilisierten sich wendehälsig zu „Dissidenten und Widerstandskämpfern“ des Honecker- Staates hoch, giftet der Dekan. Teile der Belegschaft gingen mit der eigenen Vergangenheit „sehr narrativ“ um: „Fabelhafte Geschichten“ erfänden sie, um den gefürchteten Karriereknick abzuwenden. „Das ist entweder schmerzhaft oder Übelkeit erregend.“
Daß gerade Mau mit solcherlei Tiraden vorprescht, ist Vogel schlicht ein Rätsel. Gewiß, einer, der der Altherren-Riege im Arbeiter-und-Bauern-Staat die Stirn bot, sei er nicht gewesen, sagt der Professor, über den Mielkes Firma Horch und Guck sechs Akten anlegte. Dekan Mau höchstselbst sei doch bereits 1986 Professor der Kinderchirurgie geworden. Weniger diplomatisch drückt sich da schon Gesine Lötzsch, PDS- Vertreterin im Gesundheitsausschuß des Abgeordnetenhauses, aus: „Besonders heftig schlagen meist jene drauf, die nicht wollen, daß jemand auf sie guckt.“ Wie auch Vogel, der Kollegen „mit handfesten Karrierezielen“ hinter dem überaus rüden Postengerangel vermutet, wittert die PDS-Politikerin eine Verschwörung aufstiegssüchtiger Halbgötter in Weiß. Zweifellos sei hier ein „Klüngel“ am Werk, der seine Amigos durchsetzen wolle.
Für Ärztekammerpräsident Ellis Huber ist es schlicht eine „moralische Katastrophe“, wie mit Vogel umgesprungen werde. Verdiente Mediziner, auch wenn sie leitende Funktionen in der DDR bekleidet hätten, dürften „nicht ausgegrenzt und nicht zur Projektionsfläche gesellschaftlicher Konflikte“ werden. „Professor Vogel wird unrecht getan.“ Das sieht der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen, Bernd Köppl, nicht anders: Solange Vogel nicht nachzuweisen sei, daß er Menschen geschadet habe, müsse er eine „"faire Chance“ auf eine Berufung bekommen. Mit „pauschalen Allerweltsverdächtigungen“ dürfe hier nicht operiert werden. Der Grünenpolitiker, selbst gelernter Arzt, will Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) jetzt nahelegen, die Berufungsliste „einfach komplett an die Kommission zurückzuschicken“.
Das Hickhack um seine Person zerrt an des Professors Nerven. Selbst öffentliche Solidaritätsbekundungen, die besorgte Patienten und treue Mitarbeiter organisieren, würden ihm zum Vorwurf gemacht. Die Aktionen habe er selbst „generalstabsmäßig geplant“, kolportieren die hufscharrenden Rivalen. „Da ist aber nichts dran“, beteuert Vogel. Sogar aus seinen eher unkonventionellen Operationsmethoden, vor Jahren noch Anlaß zu Lobeshymnen westlicher Meister des Skalpells, versuchen sie ihm einen Strick zu drehen. Zu groß sei seine „Risikobereitschaft“, beanstanden jetzt selbst die Bewunderer von einst.
Bei solchen Anfeindungen dürfte Fernweh aufkommen. Für den Fall, daß Vogel sein Glück tatsächlich im Ausland suchen sollte, haben einige seiner zum Teil schwerkranken Patienten oder deren Angehörige rasch geschaltet: Sie legten gesonderte Sparkonten an – um „ihrem Professor“ im Notfall nachreisen zu können.
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