: Kahlschlag in Mitte für die neuen Goldgräber
■ Über 190 Gebäuden im Berliner Zentrum droht die Abrißbirne / Die taz stellt in einer Serie zehn von ihnen vor
Sie sind sich nicht immer einig, doch über die Baukräne in der Hauptstadt freuen sie sich beide, Bausenator Wolfgang Nagel (SPD) wie Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU). Lange haben die Investoren auf sich warten lassen, nun wird endlich gebaut. Doch nicht nur Freiflächen werden mit immer mehr Bürohäusern und immer weniger Wohnungen versiegelt, dem Baufieber der neuen Goldgräber sollen nicht selten auch die Zeugnisse jenes Gründerbooms nach 1871 zum Opfer fallen, mit dem die Grundsteinlegungen in der Hauptstadt heute gemeinhin in Verbindung gebracht werden. „Der Bauboom der Privatwirtschaft und die rigorosen Planungen für neue Regierungsbauten stellen eine extreme Gefährdung der erhaltenen denkmalwerten Bauten dar“, hieß es im vergangenen Sommer einleitend zu einer Ausstellung über denkmalwerte Bauten in Berlin- Mitte.
Was damals eine Befürchtung war, ist heute Gewißheit: Bislang 115 Abrißanträge liegen beim Bezirksamt Mitte vor, bei weiteren 74 Gebäuden wird der Abriß erwogen. „Die Abrißanträge“, sagt die vom Bündnis Mitte nominierte Baustadträtin Dorothee Dubrau, „erstrecken sich flächendeckend über den ganzen Bezirk, einschließlich der Spandauer Vorstadt.“ Das gilt nicht nur für Bürobauten, sondern auch für Wohnhäuser, die dann geschliffen werden können, wenn der Eigentümer Ersatzwohnraum schafft – egal wo, egal wie teuer.
Zum Beispiel am Hausvogteiplatz, dem alten Konfektionsviertel der Stadt. Dort soll in der Jägerstraße nicht nur ein altes Bankgebäude einem LBB-Neubau weichen, auch das Wohn- und Geschäftshaus Oberwallstraße 8 soll abgerissen werden. Ironie der Geschichte: Im vergangenen Jahr wurde dieses Gebäude neben der Oberwallstraße 9 als wesentlicher Bestandteil des „Ensembles Hausvogteiplatz“ gewürdigt – in eben jener Ausstellung über denkmalwerte Bauten in Mitte.
Höhere Geschoßflächen, mehr Glas und Rendite wiegen für die „Developer“ allemal schwerer als historische Bausubstanz. Was der Sozialismus stehen ließ, scheint die Marktwirtschaft im Handstreich zu nehmen. Nach der „zweiten Zerstörung der Stadt“ durch Kahlschlagsanierung im Westen und selbstherrliche Staatsstadtplanung im Osten droht der Mitte nun die dritte. „Steht ein Gebäude nicht unter Denkmalschutz“, erklärt die Leiterin des Denkmalamtes Mitte, Eva-Maria Eichler, „gibt es kaum Möglichkeiten, seinen Erhalt durchzusetzen.“ Aber auch der Denkmalschutz liegt im argen, seit im Frühjahr dieses Jahres die bezirklichen Denkmalschutzbehörden zugunsten des Stadtentwicklungssenators entmachtet wurden. Zudem läßt die Angleichung des Berliner Denkmalschutzgesetzes an die höheren westdeutschen Standards ebenso auf sich warten wie die förmliche Festlegung der Friedrich-, Dorotheen- und Friedrich-Wilhelmstadt als Gebiete mit Erhaltungssatzung.
Aber auch Bausenator Wolfgang Nagel, einst angetreten, behutsam mit der Stadt und ihren Bauwerken umzugehen, geht behutsam nur noch mit den Investoren um. „Beim Zollernhof oder Rosmarin-Karree“, kritisiert Dubrau die Große Koalition, „hat Nagel dem Abriß stattgegeben, obwohl gleichzeitig betont wurde, daß es besser wäre, die Bauwerke zu erhalten.“ Wenn man genügend Personal hätte, heißt es im Stadtplanungsamt, würde man den gesamten Bezirk mit Bebauungsplänen überziehen, um so mehr Mitspracherechte zu bekommen. So jedoch bleibt den Abrißgegnern nur, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und politischen Druck auszuüben. Uwe Rada
Die taz wird in einer Serie mit zehn Folgen dazu beitragen. Teil 1 S. 28
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