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Dann singt er vom Rebben, der brennt

„Ich bin's nicht, Adolf Hitler ist's gewesen“ – eine international bejubelte Inszenierung, die sich schon zehn Jahre zwischenfallreich auf dem Spielplan hält  ■ Von Petra Kohse

Das ist schon eine Meldung wert: Nach 2.222 Vorstellungen in acht Jahren wird heute zum letztenmal „Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch“ gezeigt, dieses Potpourri aus 20er-Jahre-Melodien im Kleinen Theater am Südwestkorso. In all der Zeit sei das 100-Platz-Theaterchen stets ausverkauft gewesen, heißt es nicht ohne berechtigten Stolz.

Doch es gibt noch einen weiteren grauen Panther im Westberliner Spielplan, eine Inszenierung ganz anderer Natur, die jetzt schon seit zehn Jahren läuft – was noch viel erstaunlicher ist, weil es sich nämlich nicht um Unterhaltung handelt – und die es auch mindestens noch bis zum Mai 1995 geben wird, bis zum 8. Mai genauer gesagt, dem 50. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation Nazideutschlands.

„Ich bin's nicht, Adolf Hitler ist's gewesen“ von Hermann van Harten in den Freien Theateranstalten – wer kennt nicht das auf eine dünne Platte aufgezogene Plakat mit den Kritikenausschnitten, das nahezu flächendeckend die Stadt überzieht? Stichproben im weitläufigeren Bekanntenkreis haben eine Trefferquote von 100 Prozent ergeben, was die Kenntnis des Stücktitels anbelangt, eine Zahl, die sich allerdings damit konfrontieren lassen muß, daß lediglich fünf Prozent der Befragten die Aufführung bisher gesehen haben. Und doch kann es sich ein nicht- subventioniertes Theater doch wohl kaum leisten, eine Inszenierung einfach mitzuschleppen. Es muß gut laufen, dieses Stück über Deutschland und die deutsche Vergangenheit – ausgerechnet!?

Eine erste kleine Anfrage ergibt, daß auch die 99 Plätze der Freien Theateranstalten bei „Ich bin's nicht ...“ die ersten acht Jahre lang ausverkauft waren, dann wurde der Besuch schütterer. Mittlerweile wird auch nur noch eine kurze Fassung gezeigt, was nichts mit Theater light zu tun hat, sondern mit finanziellen Problemen – das Ensemble mußte verkleinert werden.

Normalerweise gibt es keinen Applaus

An einem gewöhnlichen Dienstag abend, einem sehr heißen dazu, und während der WM, finden sich immerhin etwa 25 Menschen am Klausener Platz 19 ein, die „Ich bin's nicht ...“ sehen wollen. Zwei Holländerinnen und eine Gruppe fränkischer Schüler sind darunter. Die Kurzfassung dauert etwa zwei Stunden.

Als es aus ist, geht keiner. Man sitzt, wartet, einer klatscht zaghaft, läßt es dann wieder sein. Irgendwann faßt sich jemand ein Herz und steht auf, die anderen folgen. Im Treppenaufgang steht Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Hermann van Harten und raucht. „In all den Jahren gab es noch nie einen richtigen Applaus“, sagt er, und es klingt nicht unzufrieden.

Häufig kommen vor allem die Jüngeren im Publikum noch ins Foyer, der Gesprächsbedarf ist groß, wohl schon deswegen, weil van Harten die ohnehin sprunghafte Handlung des Stückes immer wieder unterbricht, dicht an die erste Reihe herantritt und fragt: „Gibt es überhaupt eine Demokratie?“, oder „Wer hat denn diesen Hitler gewählt? Wer war das denn?“

Und dann zählt er Verbindungslinien der bundesrepublikanischen Politik zurück ins Reich auf, von Globke bis Laurien und Weizsäcker – ein düsterer Kabarettist, der als einziger dann böse lacht, ein bißchen irr vielleicht. Später singt er ein jiddisches Lied, vom Rebben, der brennt und tanzt und drückt sich an die Wand.

In „Ich bin's nicht, Adolf Hitler ist's gewesen“, läßt Harten auf einem Originalgleis in dem langen schmalen Bühnenraum, dessen Rückwand unter anderem ein Hitlerbild und ein Hakenkreuz verunzieren, Geschichte der unmittelbaren Nachkriegszeit Revue passieren.

Er selbst spielt Hans Frank, den bayerischen Justizminister der Jahre 1933/34 und späteren Generalgouverneur der besetzten polnischen Gebiete, verantwortlich für den Mord an mindestens drei Millionen Juden. Nach Kriegsende wurde er zum Tode verurteilt und warf sich in die Arme der Kirche. Er starb, ohne seine Schuld anzuerkennen.

Zitatanfänge werden mitgesprochen

Harten spielt Frank bewußt als Diabolo-Charge. Er knarzt und raunt und pathetisiert und windet sich und quält sich scheinbar in der Beichte. Und sitzt auf einem dunklen Thron und will sich nichts vorwerfen. Auch Hitler tritt auf, besser: Ein Mann im Frack, gespielt von Christian Bickert, mit zwei senkrechten Kajalstrichen unter der Nase – wie die Frank-Figur ein Schauspieler in einer bestialischen Inszenierung, die zwischen der Ouvertüre des Autodafés bis zur Selbstentleibung des Protagonisten ein Heer vermeintlicher Statisten produzierte: „Ich war's nicht, Adolf Hitler ist's gewesen.“

Später tritt eine Trümmerfrau auf, ein Hitlerjunge, Stimmen kommen vom Band. Neben Sätzen aus dem Tagebuch von Hans Frank werden auch weitere Dokumente zitiert, Hitlers Testament. Anfang und Ende von Zitaten werden in dieser Inszenierung stets mitgesprochen, das ist Gesetz und eine Vorsichtsmaßnahme.

Auch die Wiking- Jugend war im Foyer

Es ist schon vorgekommen, daß einer im Publikum aufstand und sagte, das sei alles gar nicht so gewesen. Oder den Raum verließ. Auch die Wiking-Jugend hatten die Theateranstalten schon im Foyer. Und oft genug die Polizei, bei Vorstellungen, in denen viele jüdische Zuschauer saßen. „Ich habe unheimlich viel gelernt in diesen zehn Jahren“ sagt Hermann van Harten. „Irgendwann schreibe ich das auf.“

Etliche Schülergruppen waren bisher da, Mitglieder von Theaterclubs, Berlin-Besucher, die eines der touristisch günstig plazierten Schilder gesehen hatten, zahlreiche Politiker, Historiker und natürlich das reguläre Publikum. Die internationale Aufmerksamkeit für diese Inszenierung, die so kraftvoll und eindringlich Erinnerung einklagt, ist enorm. Ein gutes Drittel der Besucher kommt aus dem Ausland, den Benelux-Staaten, Skandinavien, aus der Schweiz und vor allem aus Israel.

„Es war eines der intensivsten künstlerischen Erlebnisse, das ich bezüglich der Thematik Shoa'ah je hatte“, schrieb Miriam Di Nur letztes Jahr in einer israelischen Theaterzeitschrift. Ihr Text ist eine der Kritiken, die Harten ins Deutsche übertragen ließ – bei allen geht das nicht, das wäre zu teuer.

Denn den beeindruckten Pressestimmen aus nahezu ganz Europa steht eine eklatante Mißachtung von Hartens Arbeit innerhalb Deutschlands respektive Berlins entgegen, die sich in konsequenter Nicht-Förderung ausdrückt. Eine Besucherrezession wie nach dem Mauerfall kann ein Privattheater natürlich innerhalb kürzester Zeit an die Grenze des finanziellen Ruins bringen.

Allerdings beantragen die Freien Theateranstalten auch schon gar keine Senatsmittel mehr. Harten hat das gelegentlich bei anderen Projekten versucht, ohne Erfolg allerdings, weil er nicht bis aufs Jota seine Konzeption und Zielrichtung darlegen wollte. Daß bei der Gelderverteilung zensorisch vorgegangen wird, hält er für ausgemacht. Und er will keinesfalls auf Linie gehen, auf die eminente Kritik an der Kirche beispielsweise verzichten oder auf die Bemerkungen über lebende Politiker in der „Hitler“-Aufführung.

Man putzt dann eben selbst

So sieht es nach zehn Jahren halt so aus, daß der Schauspieler, der aus der Schweiz zunächst an die frühe Schaubühne kam und Anfang der 70er dann die eigene Truppe gründete, mit seiner Mannschaft selbst Programmzettel faltet, Plakate aufhängt und Handzettel verteilt. Mittlerweile putzt man in den Freien Theateranstalten sogar selbst, was natürlich keine Schande ist, aber von der Zeit abgeht, ein neues Stück zu schreiben und neue Inszenierungen zu erarbeiten.

Möglicherweise helfen da ja Tantiemen ein bißchen auf die Sprünge. Bisher hat Harten Angebote anderer Theater, sein Stück nachzuspielen, stets abgelehnt. Aktuell hat das Jerusalemer Khan- Theater Interesse. Vielleicht denkt der Autor jetzt, nach zehn Jahren, ja anders darüber. Heute auf jeden Fall gehen die Freien Theateranstalten mit einer letzten Vorstellung von „Ich bin's nicht ...“ in die Sommerpause. Und die es heute nicht schaffen, sollten im Herbst nachsitzen. Unbedingt.

Heute, 20.30 Uhr, Freie Theateranstalten, Klausener Platz 19, Charlottenburg, S-Bahn Westend.

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