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Unternehmen Staatsapparat

■ Hamburgs Senat plant radikale Umwandlung des Verwaltungsapparats / Leistungslohn und „Produkt“orientierung sind angesagt. Von Florian Marten

Der Senat schmiedet gewaltige Pläne: Hamburgs öffentliche Verwaltung soll zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb umfunktioniert werden. Entscheidungsfreudige und selbstbewußte Behördenmitarbeiter werden in Zukunft für Leistung belohnt, ihre Arbeitsergebnisse gelten als „Produkte“, die es effizient und kundenorientiert herzustellen gilt. Fachbehörde und Bezirke dürfen weitgehend frei über ihre Mittel entscheiden – Geld zwischen Personal- und Sachausgaben herschieben. Die bürokratischen Zentralen des Stadtstaates, das Senatsamt für den Verwaltungsdienst (zentraler Arbeitgeber, Chef: Innensenator Werner Hackmann) und die Finanzbehörde, werden zu modernen Managementzentralen umgebaut, die lediglich koordinieren und kontrollieren, aber nicht mehr jeden Papierkorb persönlich inspizieren.

Utopie? Nein, zumindest auf dem Papier sind die Tiger schon los: Zwei – noch geheime – dicke Bündel Papier, die seit gestern die Tische der viertägigen Senatsklausur zum Haushalt 1995 schmücken, künden von einer klammheimlichen Revolution des Hamburger Staatsapparates. Mit den Drucksachen 94/0880 und 94/0863 strebt der Senat den vielleicht bedeutsamsten Umbau der Stadtverwaltung seit 1919 an: Hamburgs Behördenlandschaft soll Abschied nehmen von seinen hierarchisch-zentralistischen Strukturen.

Hinter dem „Gesamtkonzept zur Globalisierung und Flexibilisierung des Haushalts“ (Drucksache 94/0863), erarbeitet von der Finanzbehörde, und der „Entwicklung eines neuen Steuerungsmodells“ (94/0880), ausgebrütet unter Federführung von Innenstaatsrat Dirk Reimers, verbirgt sich der Versuch, die Prinzipien modernen Unternehmensmanagements an die Stelle preußischer Obrigkeits- und Staatsbeglückungsprinzipien zu setzen.

Diese grundlegende Verwaltungsreform, „bisher flächendeckend in keiner deutschen Stadt realisiert“, ist als „Doppelstrategie“ aus Pilotprojekten und – parallel dazu – allgemeinem Umbau der Apparate angelegt. Die neue Zauberformel heißt „AKV“: Aufgabe, Kompetenz und Verantwortung sollen zusammengeführt werden. Senat, Finanzbehörde und die zentralen Stabsministerien (Senatskanzlei, Senatsamt für den Verwaltungsdienst) sollen Kompetenzen an die Fachbehörden abgeben.

Der Einstieg in die Radikalreform erfordert zunächst keine neuen Gesetze: Die Reformer legen großen Wert auf Machbarkeit: „Die kurzfristig realisierbaren Handlungsvorschläge“, so verrät uns 94/0880, „sind auf der Grundlage geltenden Rechts entwickelt worden“. Auch die Auswahl der Pilotprojekte erfolgte nach den Kriterien Machbarkeit und Erfolgsaussicht: Die Feuerwehr (Innenbehörde), die Haftanstalt Glasmoor (Justizbehörde), der Arbeitnehmerschutz (Sozialbehörde) sowie die Einwohnerämter der Bezirke Mitte, Nord und Harburg sollen Testfelder für die neue politische Steuerung per langer Leine werden.

Woher der plötzliche Reformeifer? Staatsrat Hartmuth Wrocklage, einer der führenden Reformköpfe, deutete kürzlich beim Führungskräfteseminar der ÖTV an, woher der Wind weht: „Ich erwarte von den neuen Methoden der Bewältigung unserer kritischen Haushaltslage die stärksten Impulse zur inneren Reform der Hamburger Verwaltung seit vielen Jahren.“ Hamburgs katastrophale Finanzlage, von den traditionellen Politikmachern herbeigeführt, hat selbst dem Senat gezeigt, daß es so wie bisher nicht weiter geht. Wrocklage: „Das alte Spiel der Interessenvertreter funktioniert nicht mehr: Erstmal die Tatsachen leugnen, dann für sich die Konsequenzen zurückweisen und schließlich einen populistischen Brei aus Schuldzuweisungen und Scheinlösungen zusammenrühren.“

Das Reformprojekt trägt denn auch weniger die Handschrift der Senatoren, als vielmehr jener durchaus vorhandenen kreativen Bürokraten-Köpfe der zweiten und dritten Reihe, die sich seit langem – und bislang vergeblich – an den überkommenen Strukturen abquälten. Freilich: Noch stehen die Reformen auf dem Papier, sind zunächst nur gute Absicht und noch lange nicht Verwaltungspraxis. Der Teufel, das wissen die Reformer, steckt im Detail: Sie setzten auf „Verhaltensänderungen der Behördenmitarbeiter“, ahnen aber, daß „Leistungsanreize schnell zu unbeabsichtigten Fehlsteuerungen führen“ können. Nicht einfach auch für alte Behördenhasen mit traditioneller „verwaltungsinterner Sozialisation“, künftig „den Umgang mit größeren Handlungsspielräumen und größerer Verantwortung einüben zu müssen.“ Und schließlich: „Verwaltungsleistungen als Produkte zu definieren wird ein schwieriger Prozeß.“ Von einem neuen Verbraucherschutz gegenüber diesen Staatsprodukten wollen die Hamburger Papiertiger denn auch vorläufig nix wissen.

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