: Baustoffmarkt Brandenburg
■ "Der Stoff, aus dem Berlin gemacht ist" / Ausstellung im Kreuzberg Museum über Bodenschätze aus der Mark Brandenburg / 396 Kiefern für Kreuzberger Wohnhaus
Im Kreuzberg Museum wird ein altes Berliner Mietshaus ausgestellt. Kein ganzes. Sondern seine Einzelteile, seine Naturstoffe: Kalkstein, Ziegel und Fensterrahmen, Eisen und Bleche, Hölzer für das Dach sowie Keramiköfen. Die Revue der sezierten Baustoffe für den Aufbau Berlins bildet die Kulisse vor historischen Fotografien einstmals kolossaler Produktionsstätten: Glashütten, Eisenwalzfabriken, Kalkbrennereien, Sägewerke oder Ziegeleien.
Die industriellen Güter und Bilder sind keine Zeugen ferner Orte, sondern Dokumente der nahen Peripherie Berlins. „Der Stoff, aus dem Berlin gemacht ist“, so der Titel der Ausstellung, veranschaulicht, wie sich das Preußenreich zum Bau der Residenz- und Hauptstadt über Jahrhunderte der Bodenschätze der Mark Brandenburg bediente. Im Schatten der landschaftlichen Schönheiten erfaßte die Mark im 18. und 19. Jahrhundert eine rapide und durchgreifende Industrialisierung, die das malerische Bild der Natur trübte. „Überall“, notierte Theodor Fontane in seinen „Wanderungen“, „schieben sich in das altdörfliche Leben die Bilder eines allermodernsten, frondiensthaften Industrialismus hinein.“
In Rüdersdorf und Wriezen rissen die Maschinen die Erde auf, damit Kalk gebrannt, Mörtel und Zement für Fundamente hergestellt werden konnten. Ziegel zum Häuserbau formten die Werkstätten in Herzfelde, Hennigsdorf und Werder, Eisen und Stahl kamen aus Brandenburg, Lauchhammer und später aus Eisenhüttenstadt. Holz und Glas für Böden, Dächer und Scheiben und den Haushalt wurden im Norden Berlins verarbeitet und produziert. Die Keramikwerke etwa für die Kachelöfen standen in Velten oder Liebenwerder. Schließlich wurde als Energieträger Kohle aus Cottbus und Wahrensbrück herangeschafft. 877.862 Ziegel wurden 1902 bei der Errichtung des Berliner Mietshauses an der Skalitzer Straße 99 verbaut. Für Holzbalken, Dach und Fenster wurden 396 Kiefern gefällt. Und 3,7 Kubikmeter Stahl wandelten sich zu Eisen- und Stahlträgern.
Die Industriestätten sind – bis auf wenige Ausnahmen – nicht erst seit heute dem Verfall ausgesetzt. Hinter Baumkronen versteckte Glashütten, von Pflanzen überwachsene Kalköfen oder verwunschene Gewässer sind signifikante Chiffren eines politischen und wirtschaftlichen Strukturwandels seit 1945. Der Anlaß dieser Präsentation, sagten zur Eröffnung die Ausstellungsmacher Martin Dürsphol und Uwe Koch, Referent im Potsdamer Kulturministerium, ziele darauf, den Ursprüngen unserer gebauten Umgebung auf die Spur zu kommen und „die Orte der Industrialisierung und Kulturgeschichte von Berlin und Brandenburg als Denkmale zu sichern“.
In Rüdersdorf wurde ein doppelter Anfang gemacht: Seit 1994 werden die alten Rumford-Kalköfen restauriert und erhalten. Der Ort, von dem das Fundament für die bebaute Stadt kam und der Werkstein für das Schloß, die Terrassen von Sanssouci oder das Olympiastadion, erhielt nicht nur einen Museumspark, sondern wird für den Bau des „Neuen Berlin“ präpariert.
Ausstellung und Begleitprogramm im Kreuzberg Museum, Adalbertstraße 95/96, Mi. bis So. 14 bis 18 Uhr bei freiem Eintritt Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen