: Die verbotene Medizin Von Mathias Bröckers
Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, den allseits präsenten Hanf in dieser Kolumne mal für eine Weile in Frieden ruhen zu lassen. Schließlich gibt es außer „der schönsten Hauptsache der Welt“ (Wolfgang Neuss) noch andere wichtige Themen, und wir wollen hier ja nicht nur die diskriminierte Minderheit der Hänflinge bedienen, sondern auch alle taz-lesenden anderen Genußmenschen. Letzte Woche aber sind gleich drei wichtige Bücher zum Thema erschienen, von denen jedes mindestens einen Wink mit dem Zaunpfahl verdient.
Da ist zum einen das Karlsruher „Haschisch-Urteil“, das jetzt im Wortlaut herausgekommen ist. Wer das klare Jein des Bundesverfassungsgerichts zum Haschisch- Gebrauch im Detail nachlesen möchte, kann das auf über 110 Seiten tun (Verlag Medienexperimente, 69488 Löhrbach, 12 DM). Eines der Highlights ist der Satz, mit dem das Gericht eine Einschätzung zum Thema Alkohol liefert: „Seine berauschende Wirkung ist allgemein bekannt und wird durch soziale Kontrolle überwiegend vermieden. Demgegenüber steht beim Konsum von Cannabisprodukten typischerweise die Erzielung einer berauschenden Wirkung im Vordergrund.“
Während die These, daß angesichts von 40.000 Alkoholtoten pro Jahr eine Gefahrenvermeidung durch „soziale Kontrolle“ stattfinde, einfach nur zynisch ist, so ist die Behauptung, daß beim Hanfkonsum „typischerweise“ der „Rausch“ im Vordergrund stehe, schlicht aus der Luft gegriffen. Dies zeigt ein „Porträt der Hanfkultur“, das die Schweizer „AG Hanf und Fuß“ anhand einer großen Umfrage unter KonsumentInnen erstellt hat („Unser gutes Kraut“, im selben Verlag, 188 S., 29 DM). Auf die Frage, wie sie sich nach dem Hanfkonsum „typischerweise“ fühlen, lauteten die häufigsten Antworten: entspannter, genüßlicher, sanfter, lustiger, lockerer, intuitiver, visionärer, geiler, träger. Von Delirium und „Rausch“ keine Spur – zwar berichtet eine kleine Minderheit von ernsthaften Problemen (Gleichgültigkeit, Introvertiertheit, Paranoia), fast alle aber sehen das Kraut – richtig genossen – als „Bereicherung“ des Alltags. Vor dem Hintergrund dieser Studie liest sich die Urteilsbegründung der Verfassungsrichter wie das Gutachten eines Blinden zum Thema Farbe.
Für das dritte Buch („Marihuana – Die verbotene Medizin“ von Lester Grinspoon und James Bakalar, Zweitausendeins-Versand, Frankfurt, 288 S., 25 DM) hier nur eine erste dringende Leseempfehlung: Es ist zu wichtig und zu brisant, um in wenigen Sätzen angemessen vorgestellt zu werden. Grinspoon, Medizin-Professor der Harvard-Universität, zeigt, daß die uralte Heilpflanze Hanf bis heute für zahlreiche Krankheiten die wirksamste und am wenigsten toxische Medizin darstellt – und nur eine Legalisierung des Cannabis-Konsums zu einer hinreichenden medizinischen Versorgung führen kann. Auch wenn die Pharma-Industrie an dieser spottbilligen und patentfreien Arznei ebensowenig Interesse hat wie die Öl- und Chemiekonzerne am Anbau des ertragreichen und pestizidfreien Rohstoffes Hanf – an der Wiederkehr der Heilpflanze Hanf führt kein Weg mehr vorbei. Die Schlange des Äskulap wußte, woran sie sich emporwindet: an einem Hanfstengel.
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