: Friede, Freundschaft, Straßenschlacht
Nicht immer waren die US-amerikanischen Präsidenten in Berlin so willkommen wie jetzt Bill Clinton / Bei Reagan tobte die Randale, Clinton beglückten die Autonomen mit einer Resolution ■ Von Uwe Rada
Berlin (taz) – Friede, Freundschaft, Straßenschlachten. Die Besuche US-amerikanischer Präsidenten am Brandenburger Tor im noch geteilten Berlin waren immer Ereignisse der besonderen Art: nachdem die Jubelberliner bei den Stippvisiten Kennedys, Nixons und Carters vor allem ihre Schutzmacht feierten, ging die linke und autonome Szene 1982 und 1987 gegen den „Kriegstreiber Reagan“ und je nach Gusto für den Frieden oder gegen den antiimperialistischen Kampf auf die Straße. Und förderte dabei Groteskes zutage. Ausgerechnet anläßlich der Proteste gegen die „Besatzer“ mußte das Besatzungsrecht, unter dem Westberlin damals stand, 1982 eine ernste Bewährungsprobe überstehen.
Flankierend zum Stakkato der Springer-Presse gegen die Hausbesetzerbewegung hatte es sich die Berliner Polizei nicht nur nicht nehmen lassen, im „Lappenkrieg“ sämtliche Anti-Reagan-Transparente von den bunten Häuserwänden zu entfernen, auch ein an sich harmloser Aufkleber („Reagan go home“) war kurzerhand verboten und beschlagnahmt worden. Das brachte selbst beim alliierten Stadtkommandanten das Faß zum Überlaufen. Er erklärte das Vorgehen der Polizei für Unrecht und verwies unmißverständlich auf das Recht zur freien Meinungsäußerung.
Das für den ersten Reagan-Besuch ausgesprochene Demonstrationsverbot freilich hatte Bestand, seine Durchsetzung ging als „elfter sechster“ (11.6.1982) oder „Schlacht am Nollendorfplatz“ in die Annalen linker Geschichtsschreibung ein. Nachdem am Tag zuvor bereits 80.000 BerlinerInnen gegen Reagan und den Nato-Doppelbeschluß demonstriert hatten, strömten an jenem 11. Juni 10.000 Teilnehmer nach Berlin-Schöneberg zur verbotenen Demonstration und damit unmittelbar in den Stacheldrahtverhau eines Polizeikessels. Der Rest des Tages war programmiert. Die Eingekesselten kämpften sich mit Steinen und Mollis den Weg frei, die Fotografen freuten sich über ausgebrannte Polizeiwannen und Autos, und der Nollendorfplatz sowie der angrenzende Winterfeldplatz glichen einem Schlachtfeld.
Fünf Jahre später erlagen nicht nur die Protokollchefs des West- Berliner Senats der süßen Versuchung eines Wiederholungsspiels. Auch der zweite Reagan-Besuch 1987 fand am „elften sechsten“ statt. Die Szene lachte sich ins Fäustchen. Die Alternative Liste, 1982 noch mit beiden Beinen (Stand- wie Spielbein) auf der Straße, sondierte die politische Lage und die Polizei das Areal in Berlin- Kreuzberg. Nachdem am Abend vor dem Besuch über 50.000 mit überwiegend friedlichen Mitteln gegen Reagan demonstriert hatten, holte die Polizei tags darauf zur Revanche aus. In der Westberliner City wurden kurzfristig sämtliche Kundgebungen verboten, um die Teilnehmer einkesseln zu können. In Kreuzberg, nach den Mai-Krawallen desselben Jahres ohnehin zum Aufmarschgebiet des damaligen Innensenators erkoren, stellte man kurzerhand den U-Bahn-Verkehr ein und sperrte die Ausfallstraßen zum Rest der Halbstadt ab. Wenn heuer Bill Clinton an die Spree kommt, gibt es freilich keine Demonstrationen. Nicht nur, weil Clinton mit seinem Besuchstermin am 12.7. eine eiserne Regel durchbrach, sondern weil ihn die verbliebenen Autonomen als Bündnispartner akzeptiert haben. Zwei Wochen vor dem heutigen Besuch überreichten sie seiner Botschaft eine Resolution, in der nicht etwa die Rücknahme der Drohungen gegen Nordkorea gefordert wird, sondern einzig, daß der US-Präsident doch bitte der Kohlschen Täter-Opfer-Kranzabwurfstelle an der Neuen Wache nicht die erste Ehre und damit ein zweites Bitburg erweisen solle.
Und siehe da: Clinton hat's gedankt. Anstatt die neue Wache zu beehren, besucht der US-amerikanische Präsident die Berliner Synagoge.
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