: Bremer Staatsfirma verschenkt Millionen
■ Staatsfirma trieb über Jahre Miete nicht ein / Steuerberater des Begünstigten testierte: alles o.k.
Was ist ein Geschäft? Zum Beispiel das: Stell Dir vor, S hat einen Zähler der Stadtwerke, gibt den Strom weiter an G, seinen Mieter, Abrechnung nach Stadtwerke-Sätzen. G gibt den Strom an seine Mieter weiter, zu etwas höheren Tarifen. Die Untermieter zahlen pünktlich den erhöhten Satz an G, G selbst zahlst nichts an S, aber S zahlt pünktlich an die Stadtwerke. Das geht gut und so über Jahre. Undenkbar? Ist aber passiert, mitten in Bremen. Irgendwer muß aber doch die Zeche zahlen, wird man sagen. Klar, in unserem Fall Vater Staat, will sagen: Wir alle, die Steuerzahler. „S“ steht für SWG, eine Firma, die „treuhänderisch“ mit staatlichem Geld wirtschaftet.
„Privatisierung“ ist ein Zauberwort, wenn es um Verwaltungsreform und die Neuorganisation von staatlichen Dienstleistungen geht: Kostenkontrolle, volle Verantwortlichkeit der Geschäftsführer - das geht alles in privaten Unternehmensformen. Das ist die Theorie.
In der Praxis stellt sich die Frage, ob denn bestehende Firmen, die im staatlichen Auftrag handeln, wirklich privatwirtschaftlichen Kriterien standhalten. Eine dieser Firmen, die ca. 28 Millionen Mark Immobilien-Vermögen im Auftrage der Stadtgemeinde Bremen verwaltet, ist die Seebeck-Werft-Grundstücksgesellschaft mit beschränkter Haftung, „SWG“. Sie betreibt ein einfaches Geschäft, die Vermietung von Industriegrundstücken. Der taz liegt der vertrauliche Wirtschaftsprüfbericht der Fides-Treuhahndgesellschaft vor, die den Jahresabschluß 1992 der SWG als „ordnungsgemäß“ testierte, obwohl die SWG 1,9 Millionen Mark Defizit in diesem Jahr abschreiben mußte und „auch in den nächsten Jahren“ mit Defiziten in sechsstelliger Größenordnung machen wird. „Nennenswerte stille Reserven sind nicht erkennbar“, schreiben die Wirtschaftsprüfer, das bedeutet: Aus dem bremischen Haushalt werden die Defizite ausgeglichen. Wie 1992. Dennoch stellt der Wirtschaftsprüfer der Geschäftsführung ein gutes Zeugnis aus: „Einzelne verlustbringende Geschäfte haben wir für das Geschäftsjahr 1992 im Rahmen unserer Prüfung nicht festgestellt.“
Das oben geschilderte Stromgeschäft, das zweifellos für die SWG ein „verlustbringendes“ war, scheint dem Wirtschaftsprüfer nicht aufgefallen zu sein. Da geht es auch um geringere Summen, einige zigtausend. Peanuts, würde die Deutsche Bank sagen. Der große Brocken des Verlustes ist ein anderer Posten: Das Unternehmen G, das das Stromgeschäft mit der SWG gemacht hatte, hatte auch die Miete über Jahre nicht gezahlt. 1,5 Millionen waren zusammengekommen. Das war nicht irgendwer, sondern der mit Abstand größte und bedeutenste Mieter der SWG, die „Grunau-Gruppe“. Warum hat die SWG diese Miete nicht eingetrieben, wie es eigentlich bei Privatunternehmen üblich ist? „Da die Bonität der Grunau-Gruppe nach der Geschäftsführung vorliegenden Informationen zweifelhaft ist“, steht in dem Prüfbericht der unabhängigen Wirtschaftsprüfer lapidar.
Hat die SWG versucht, die Miete einzutreiben? Offenbar nicht. In der Landeshaushaltsordnung steht, daß der Staat ihm zustehende Forderungen nur dann niederschlagen kann, wenn „mehrmals fruchtlos gebliebene Vollstreckungen“ gegeben hat. Hat es nicht.
Hat die SWG wenigstens die Meitverträge gekündigt? Hat sie nicht. Seit 1990 waren die Mietrückstände aufgelaufen, 1992 hatten sie eine Größe von 1,5 Millionen erreicht, 1993 ging es weiter, Monat für Monat, Grunau kassierte von seinen Untermietern, bezahlte natürlich alle Rechnungen, Löhne - nur die Miete nicht. Da scheint er bei der staatlichen SWG einen besonders Dummen gefunden zu haben. Als die Grunau-Gruppe 1994 dann verkauft wurde, da bakam der Allein-Gesellschafter Grunau dafür 1,4 Millionen. Soviel war der Laden trotz einer 1992 festgestellten „fehlenden Bonität“ also doch wert.
Bleibt zum Schluß die Frage, warum der Wirtschaftsprüfer nicht „Skandal“ gerufen hat. Warum er nicht die Frage aufgeworfen, inwieweit hier die Veruntreuung von Steuergeldern betrieben und geduldet wurde. Der vereidigte Wirtschaftsprüfer muß, so steht es im „Haushaltsgrundsätzegesetz“, auf die Frage antworten, ob „ungewöhnmliche, risikoreiche oder nicht ordnungsgemäß abgewickelte Geschäftsfälle sowie erkennbare Fehldispositionen und wesentliche Unterlassungen“ festgestellt wurden. Die Antwort der Fides: „Vorgänge dieser Art stellten wir fest.“
Wie kann es sein, daß ein Wirtschaftsprüfer beide Augen so fest zudrückt? Wir wissen nur, daß die Fides gleichzeitig im Dienst Grunaus steht - als sein Steuerberater. K.W.
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