Sanssouci: Vorschlag
■ Adolf Frankls „Visionen aus dem Inferno“ im Reichstag
Gespenstisch glühen die Augen in den grünen und violetten Schädeln von Adolf Frankls Bild „Lebende Tote“. Weder können sie ins Leben zurück noch die Ruhe der Toten finden. Ihre Gesichter verfolgten den Maler, der über seine Arbeit schrieb: „Dann rauche ich und denke an das Vergangene, an die Jugend, die Frauen und auch an die schrecklichen Bilder. Die Geister kriechen hervor aus der Finsternis – es wird unerträglich. Ich laufe ins Kaffeehaus, hinter mir fühle ich das Bild, an dem ich gerade arbeite, wie es, unvollendet, mir die Weiterarbeit befiehlt.“
Adolf Frankl wurde Maler wider Willen. An die Leinwand zwang ihn die Erinnerung: an die Judendiskriminierung in seiner Heimatstadt Bratislava, an die Deportation seiner Familie 1944, an den grausamen Lageralltag in Auschwitz und an die ermordeten Verwandten, Freunde, Bekannten. Als er verzweifelt zum Pinsel griff, war er über fünfzig Jahre alt, und seine künstlerischen Anfänge als Karikaturist lagen weit zurück. Das Konzentrationslager hatte er überlebt. Doch die Bemühung, im bürgerlichen Leben wieder Fuß zu fassen, scheiterte nicht nur an der Verstaatlichung seines Geschäfts für Inneneinrichtungen in Bratislava. 1950 wanderte er mit seiner Familie nach Wien aus. Um ihn aus der Isolation zu lösen, riet ihm ein Arzt, Blumen zu malen. Doch statt Harmonie erwuchsen bald jene „Visionen aus dem Inferno“, die nun im Berliner Reichstag ausgestellt sind.
Frankls Bilder erzählen von den vielen Schritten der Erniedrigung: vom Wegtragen der Latrinenkübel, vom Kampf um die Brotration, von den Stockhieben für den heimlichen Tausch, von der Eintätowierung der Gefangenennummer, von der Musikbegleitung der Selektion für die Ermordung. Das ständige Alltäglichwerden der Grausamkeit unterscheidet seine Bilder von einer exemplarisch aufgeladenen Leidens- und Erlösungsmetaphorik, mit der spätere Künstler das Thema zu fassen suchten.
Farbstrudel, brennende Flächen, unaufhaltsame Ströme: Die Gewaltsamkeit des Erfahrenen schlug sich bei Frankl in der aufgelösten Struktur der Bildordnung nieder. Die Figuren wischte er oft mit dünnen Konturen auf den tobenden Grund: Sie bleiben körperlose Schemen, verdreht, verzerrt, zerrissen. Zuviel Leben wurde aus ihnen herausgeprügelt, als daß sie Kraft hätten, ganz im Bild zu erscheinen. Der Maler, der bis 1963 an den „Visionen“ arbeitete, portraitierte wiederholt sich selbst an der Staffelei, gejagt von schreienden Köpfen, als könne er nie damit fertig werden, den Schrecken zu schildern.
Adolf Frankl: „Transport“, Zeichnung Abb.: Katalog
Oft deuten seine Bilder gerade in ihrer Unbeholfenheit eine über jedes Darstellungsvermögen hinausgehende Gewaltsamkeit an. Frankl griff auf das von den Nationalsozialisten als entartet diffamierte Vokabular der Expressionisten, auf die aggressive Zersplitterung der Dadaisten und die surreale Montage zurück. Versucht man aber seine wüsten Bilderschlachten mit der zeitgleichen Malerei in Deutschland zusammenzudenken, dann wird schlagartig deutlich, wie weit viele Maler in dem Versuch, die Reste des Humanen aus den Trümmern der Kultur zusammenzukratzen, in die politisch scheinbar unbesetzten Gebiete der ungegenständlichen Kunst oder der Landschaftsmalerei flohen. Kaum lassen sich Ansätze finden, sich in der Kunst der Grausamkeit und den destruktiven Kräften zu stellen. Nur einer wie Frankl ließ sich von dieser Unmöglichkeit nicht aufhalten. Deshalb wäre zu wünschen, daß seine Bilder nicht nur im didaktischen Rahmen zur deutschen Geschichte im Berliner Reichstag zu sehen sind. Ihre Hängung auf der Empore eines weiten Foyers, gequetscht in eine unruhige Zone zwischen Türen, sabotiert im übrigen die Aufforderung zu einer intensiven Auseinandersetzung. Viele der Bilder, die zu einem „Höllensturz“ getürmt sind, kann man nur aus einer steilen Perspektive betrachten.
Richard von Weizsäcker, Rita Süssmuth, Ignatz Bubis und Simon Wiesenthal betonen in Briefen an Thomas Frankl, der den Nachlaß seines 1983 verstorbenen Vaters betreut, die Bedeutung der „Visionen“ als Mahnmal gegen aktuelle Tendenzen des Rassismus. Warum müssen diese Briefe neben den Bildern ausgestellt werden? Sie instrumentalisieren Frankls Anliegen zu einem öffentlichen Bekenntnis. Katrin Bettina Müller
Adolf Frankl: „Visionen aus dem Inferno“, bis 31. August im Reichstag.
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