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Friedensmissionen sind eine Last

■ In Osteuropa wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über UNO-Einsätze der Bundeswehr nahezu einhellig begrüßt / Russische Kommentatoren lehnen deutsche UNO-Einsätze in der GUS ab

Berlin (taz) – Aufgrund eigener historischer Erfahrungen neigen die RussInnen nicht dazu, ein Volk mit den Taten, die in seinem Namen begangen wurden, gleichzusetzen. Trotzdem reagierten die BürgerInnen, die von der taz zu einer Bewertung des Bundesverfassungsgerichtsurteils über UNO- Einsätze der Bundeswehr aufgefordert wurden, eher zurückhaltend. Eindeutige Zustimmung zeigte niemand, viele versteckten sich hinter ihrer „Inkompetenz“. Professionelle „Meinungsträger“ sprachen sich dagegen unisono für die „Gleichberechtigung“ Deutschlands aus. Auf dem Territorium der GUS würden sie allerdings „Friedensstifter“ anderer Nationen vorziehen.

Generalmajor Alexander Mordowin: „Ich finde es völlig normal, daß die deutsche Verfassung derartige Einsätze ihrer Streitkräfte zuläßt. Ich glaube allerdings auch, daß die Bundesrepublik über genügend Takt verfügt und verhindert, daß die Bundeswehr bei UNO-Einsätzen auf dem Territorium der Staaten zum Einsatz kommt, gegen die Deutschland im Zweiten Weltkrieg gekämpft hat.“

Michail Kobrin, Ex-Redakteur der Zeitschrift Probleme des Friedens und des Kommunismus: „Der Beschluß ist ein weiterer wichtiger Schritt zur Einbindung der Bundesrepublik in die demokratische Weltgemeinschaft, wie übrigens auch die immer aktivere Teilnahme Rußlands an internationalen Friedensmissionen dem gleichen Ziel dient. Was einen Einsatz von deutschen Soldaten in der GUS betrifft, so würde ich als liberaler Mensch hierin nichts Besonderes sehen. Ich befürchte aber, daß die Reaktionen unserer sogenannten patriotischen und sozialistischen Kräfte auf einen derartigen Präzedenzfall das politische Klima in unserem Land nachhaltig verschlechtern könnten.“

Pawel Felgenhauer, Kommentator der führenden Tageszeitung Segodnja: „Ich beglückwünsche Sie. Jetzt bekommen Sie endlich die Möglichkeit, in exotischen Ländern wie Bosnien und Ruanda zu kämpfen, und was dergleichen großartige Örtlichkeiten mehr sind. Ob ich auch Berg-Karabach dazu zählen würde? Natürlich! Ich glaube, das Hauptproblem wird jetzt darin bestehen, Truppen zu finden. Denn die deutschen Soldaten sind nicht gerade scharf aufs Kämpfen.“

Positiv wird die Entscheidung des BVG auch in Polen bewertet. „Ich habe überhaupt keine Befürchtungen“, meint Bronislaw Geremek, Vorsitzender des auswärtigen Parlamentsausschusses. „Jetzt kann die Bundesrepublik endlich voll an der Gestaltung der europäischen Politik mitwirken.“

Auch der Politologe Jerzy Wiatr, außenpolitischer Experte der Sozialdemokraten, sieht keinen Anlaß zur Unruhe: „Als der deutsche Gesetzgeber das Verbot für die Bundeswehr, ,out of area‘ aktiv zu werden, aufgenommen hat, dachte er an aggressive Unternehmen.“ Und: „Die Teilnahme an Friedensmissionen ist kein Privileg, sondern eine Last.“

Besonders letzteres ist in Polen bestens bekannt, weshalb die meisten Polen die deutsche Debatte um den Somalia-Einsatz der Bundeswehr kaum nachvollziehen konnten. Polen nimmt seit 40 Jahren an solchen Einsätzen teil, ohne daß dies die geringste Aufregung verursacht hat. Als Zinksärge mit polnischen Soldaten, die in Bosnien durch Minen getötet worden waren, nach Breslau gebracht wurden, gab es ein Staatsbegräbnis in Schlesien. Eine Debatte über Sinn oder Unsinn der polnischen Anwesenheit in Bosnien gab es nicht. In Polen zieht man es vor, über die bosnischen Opfer des jugoslawischen Krieges statt über die eigenen zu debattieren.

Manch ein polnischer Kommentator fürchtet freilich, daß die UNO-Einsätze der Bundeswehr nur der erste Schritt auf dem Weg zu einem ständigen deutschen Sitz im Sicherheitsrat sind. Deutliche Kritik gibt es bisher aber allein von Ultrarechts. Ein Artikel über deutsche Sicherheitsratsabsichten trug den Titel: „Heute Deutschland und morgen die ganze Welt.“

Auch in Ungarn ist die deutsche Blauhelmdiskussion auf wenig Verständnis gestoßen, die BVG- Entscheidung wird ausdrücklich begrüßt. Deutschland sei ein mächtiges Land, heißt es im Budapster Außenministerium, und müsse die Verantwortung, die sich aus seinem Schwergewicht in Europa und der Welt ergebe, annehmen. Angesichts der vielen negativen Entwicklungen in Europa, erwähnt werden müsse nur der Krieg in Jugoslawien, werde Deutschland dringend gebraucht.

Die Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee dürften dies freilich etwas anders sehen. „Kämen deutsche Truppen, dann wäre hier der Teufel los“, sagte General Brovet ganz zu Beginn des Krieges in Kroatien 1991. Wie aufgeputscht die Atmosphäre damals war, zeigt sich auch daran, daß diese Möglichkeit überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen wurde. Serbiens Präsident Milošević ließ das Bild des „IV. Reiches“ beschwören, um die Bevölkerung für den eigenen Krieg zu mobilisieren.

Daß die Realität ganz anders aussah und sich die Frage des Einsatzes deutscher Truppen im Rahmen der UNO zu einem kniffligen Verfassungsproblem entwickeln würde, konnte die Bevölkerung der anderen Balkannationen kaum nachvollziehen. Besonders in Bosnien-Herzegowina ist seit Beginn des Krieges das Fehlen deutscher UN-Truppen bedauert worden, vor allem nachdem deutlich wurde, daß das britische, französische und russische Engagement sehr oft den serbischen Angreifern in die Hände spielte und deutsche UNO-Truppen angesichts ihres Ansehens bei den Kroaten beruhigend auf den „Krieg im Kriege“ hätten wirken können. Auch die kosovo-albanische, die albanische und die makedonische Öffentlichkeit haben sich wiederholt für ein stärkeres Engagement der Deutschen im Rahmen der UNO ausgesprochen. „Das demokratische Deutschland hat mit seiner Zurückhaltung ein politisches Vakuum geöffnet, in das andere mit ihren Interessen hineingestoßen sind“, beklagte sich kürzlich ein slowenischer Kommentator. taz-Korrespondenten

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