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Ökonomieverträgliche Ökologie

Bill Clintons und Al Gores Vision ist zum Mythos verkommen: 18 Monate seiner Regierung brachten keine ökologisch relevanten Ergebnisse  ■ Von Annette Jensen

Sein großes Vorbild hatte es leichter. John F. Kennedys Worte „Ich bin ein Berliner“ sollten dem Versprechen der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auch in der deutschen Inselstadt Geltung verschaffen. Leben, Freiheit und das Recht, nach dem persönlichem Glück zu streben – diese Ideale waren 1963 im Westen unhinterfragt. Die Wirtschaft boomte, die Umwelt schien es nicht übelzunehmen. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren das große Vorbild. Auf deutsch hieß das „Wohlstand für alle“ — Konsum, Mobilität und Leistung.

Bill Clinton hat es schwerer: Vorbei sind die goldenen Zeiten der Straßenkreuzer. Aber könnte er nicht statt dessen als Präsident der Elektroautofahrer, ja mehr noch als Vorturner eines gesamtgesellschaftlichen Reformprojekts erneut eine Leitfigur der Deutschen werden? Wirtschaft und Umwelt miteinander zu versöhnen und dabei neue Arbeitsplätze zu schaffen, das hatte er im Wahlkampf auf seine Plakate schreiben lassen.

Al Gore als Vizepräsident hatte dieser Vision zunächst Glaubwürdigkeit verliehen, schließlich hatte er schon einen Präsidentschaftswahlkampf hinter sich, bei dem er das Weltklima zum Hauptthema machen wollte – mit jämmerlichem Erfolg allerdings.

Zwar verzichtete Clinton gestern am Brandenburger Tor nicht auf einen sinnstiftenden Satz: „Amerika steht auf Ihrer Seite, jetzt und für immer.“ Allein die Zeiten der USA als Vorbild sind vorbei. Die Vision, mit der Clinton antrat, ist nach eineinhalb Jahren längst zum Mythos verkommen. Die Versöhnung von Wirtschaft und Umwelt findet nicht statt, das Reformprojekt ist gescheitert.

An den zahlreichen runden Tischen, an denen seit Clintons Einzug ins Weiße Haus vor allem VertreterInnen der Industrie und Umweltgruppen sitzen – die Gewerkschaften spielen so gut wie keine Rolle – wurden keine Meilensteine gesetzt, sondern nur Minischritte ersonnen. In der Arbeitsgruppe für nachhaltige Entwicklung beispielsweise haben sich die 25 beteiligten Gruppen nur auf Stichworte wie „langfristige Ressourcenschonung“ verständigt. Und bei der Umsetzung des Giftreduzierungsgesetzes in Massachusetts ist es bisher nicht zum Verbot einer einzigen Chemikalie gekommen. Die Firmen müssen lediglich Bilanzen über die von ihnen verwendeten Gifte erstellen.

Umweltschutz nur, wenn er sich rechnet

Nachhaltige Entwicklung ist zum Schlagwort geworden, das auch Waldbesitzer, die radikalen Kahlschlag betreiben, selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. Wer sich an den Verhandlungen beteiligt, steht nicht auf und geht, wenn die Zumutungen zu groß werden – wer Platz genommen hat, bleibt bis zur gemeinsamen Formel. Durchsetzbar ist dabei nur, was der Wirtschaft nicht schadet. Umweltschutz muß ökonomisch motiviert werden, damit er verhandlungsfähig wird. Der Schutz des Weltklimas ist kein Argument und Ziel mehr, sondern findet allenfalls dann Eingang in die Kompromisse, wenn er sich auch wirtschaftlich rechnet. Autos mit Alternativantrieb sind da kein Tabu, solange die Menge der Blechkisten nicht grundsätzlich reduziert werden soll. Auch wenn Kraftwerke mit Luftverschmutzungsgutscheinen handeln, ist die Kosten-Nutzen-Rechnung des Betreibers alleiniger Entscheidungsmaßstab. Die Effekte der Emissionen und die unterschiedliche Belastungsfähigkeit einzelner Regionen spielen in den USA hingegen keine Rolle. So bleibt die ökonomieverträgliche Ökologie eine Frage des technischen Fortschritts. Vom Werte- und Verhaltenswandel im Reformprojekt ist hingegen nichts zu sehen.

Die Änderung des Lebensstils ist für die EinwohnerInnen der Vereinigten Staaten noch weitaus weniger vorstellbar als für EuropäerInnen: Die minimale Erhöhung des sowieso lächerlich geringen Benzinpreises wird nicht nur als unakzeptabler Angriff auf die privat definierte Freiheit und das Recht, nach persönlichem Glück zu streben, begriffen. Viele Städte sind so ausgeufert, daß eine Fortbewegung ohne Auto schlicht undenkbar ist, zumal Bürgersteige und Omnibusse häufig völlig fehlen. Selbst den meisten UmweltschützerInnen erscheinen Elektro- oder Gasautos als einzige Alternative zum Benzinvehikel.

Die radikalen Ökogruppen wie Earth First hingegen halten sich mit solchen Kompromissen nicht auf, sondern fordern gleich die Rückverwandlung eines großen Teils der USA in Wildnis. Entweder absoluter Pragmatismus oder gleich die ganz große Vision: Zwischentöne gibt es jenseits des Atlantiks so gut wie keine. Allenfalls die zahlreichen NaturschützerInnen, die Millionen sammeln, um dafür Land mit gefährdeten Tier- und Pflanzenarten aufzukaufen, lassen sich in der Mitte verorten. Denn in Amerika gilt noch immer weitgehend: Wem das Land gehört, der darf bestimmen, was darauf passiert. So bezieht sich das international viel beachtete Abholzungsverbot im Lebensraum der gefleckten Eule im Nordwesten des Landes auch lediglich auf Staatswälder.

Kurzum: Die ersten 18 Monate des Reformers Bill Clinton im Weißen Haus zeitigten keine ökologisch relevanten Ergebnisse. Die groß angekündigte Energiesteuer ist vom Tisch, sie mutierte zu einer Mini-Benzinpreiserhöhung. Die wichtigen Umweltgesetze wurden vor Clintons Präsidentschaft verabschiedet. Ihre Auswirkungen kommen oft jetzt erst vor Ort an; das föderale Prinzip macht die USA zu einem großen Tanker, der sich nicht schnell und radikal manövrieren läßt. Daß beispielsweise Montsanto heute dafür geradestehen muß, daß eine Tochterfirma in den dreißiger Jahren eine von vielen Verursacherinnen einer Altlast in Woburn bei Boston war, geht auf das Superfund-Gesetz von 1980 zurück: Die Environmental Protection Agency (EPA) macht die Verursacher für die Beseitigung der Schäden verantwortlich – und zwar für immer. Mit einem Reformvorhaben der 90er Jahre hat das nichts zu tun. Ökologische Innovationen sind in den USA meist von unten oder durch Richtersprüche zu erwarten. Je lokaler und unmittelbar gesundheitsrelevanter ein Problem, desto größer der Erfolg von UmweltaktivistInnen. Klimaschutz paßt nicht in dieses Schema.

Gestern fuhr Bill Clinton mit einer Limousine durch Berlin, die selbstverständlich einen Benzinantrieb unter der Haube hatte. Das hatte auch keiner anders erwartet. Niemand hätte ihm ein anderes Symbol noch abgenommen.

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