piwik no script img

„Stillt die Dichtung wie ein Föhn“

Friederike Kempner, „Genie der unfreiwilligen Komik“, in einer erstaunlichen Ausstellung  ■ Von Volker Weidermann

Gott verdamme den Frühling! So wenigstens spricht Adalbert, der Novellist in Thomas Manns „Tonio Kröger“. Man arbeite nämlich schlecht im Frühling. Und warum? Weil man empfindet; und weil der ein Stümper ist, der glaubt, der Schaffende dürfe empfinden. Liegt dir zuviel an dem, was du zu sagen hast, so kannst du eines vollständigen Fiaskos sicher sein.

Friederike Kempner empfand tief, was sie schrieb, das spürt der Leser auch heute noch in jeder Zeile ihrer Gedichte. Und doch erntete sie dafür nur Spott, Hohn und Erheiterung. Na ja, nicht ganz, auch Ruhm ward ihr zuteil – doch nicht so ganz der Ruhm, den sie sich sehnlich wünschte.

Mit recht boshafter Ironie hat Paul Lindau in seiner Berliner Literaturzeitschrift Die Gegenwart 1880 ihren Ruf als „Genie der unfreiwilligen Komik“ begründet. Zugrunde lagen Lindaus Einschätzung Zeilen wie folgende: „Ist in Nichts denn vergangen / Was einst lieblich war und schön? / Doch des Herzens traurig Bangen / Stillt die Dichtung wie ein Föhn.“

Wie ein Föhn – wohl dem, der Gedichte schreibt und sich dabei auch über unnütze Konventionen leicht beschwingt hinwegzusetzen vermag: „Daktylen und Jamben, Trochäen / Sie schließ' ich in einen Bund / Die Regel sie ewig zu trennen / Hat keinen vernünftigen Grund.“ Wer wollte da widersprechen? Wir nicht.

Der Meister vielleicht? Friederike Kempner hätte sich auch dadurch nicht beirren lassen, denn: „Auch Goethe war nicht unfehlbar / Was auch die Goethe-Jünger meinen / Was sich nicht schickt, schickt sich für keinen / Für jeden das, was recht und wahr.“ Er war ihr einfach etwas zu unmoralisch, der Dichterfürst – die Tugend, die Tugend war Friederike Kempner stets das höchste Gut. Erheiternd sind jedenfalls viele ihrer Gedichte, wirklich gut gemeint sind alle, oft mit einer herrlich überraschenden Wendung am Schluß und manchmal so kitschig, daß sie schon als die Überwinderin des Kitsches durch den Kitsch gepriesen wurde.

Geboren wurde Friederike Kempner im Jahre 1836 (oder 1828, wie es auf ihrem Grabstein steht?) als Kind jüdischer Eltern in der preußischen Provinz Posen. Acht Jahre später zieht die Familie in ein ansehnliches Rittergut in Schlesien. 1860 veröffentlicht sie erste Dramen und Novellen, die fast gänzlich unbeachtet bleiben. Doch nachdem ihr historisches Drama „Rudolf II.“ in Berlin aufgeführt wird und Paul Lindau seine hämische Rezension geschrieben hatte, erlangte sie eine gewisse Berühmtheit. Ob die Tatsache, daß ihre Gedichte noch zu ihren Lebzeiten in achter Auflage erschienen, jedoch dieser Berühmtheit zu danken ist (oder vielmehr einem panischen Aufkaufen ihrer Familie, die den Spott nicht mehr ertrug), ist nicht wirklich geklärt.

Doch Friederike Kempner war nicht nur in der Schriftstellerei sehr engagiert. Unzählige Eingaben von manchmal hundert Seiten machte sie zeit ihres Lebens an preußische Regierungsstellen. Gegen Einzelhaft und Antisemitismus richtete sich ihr Engagement vor allem. Ihre größte Angst jedoch war, lebendig begraben zu werden. Sie erdachte komplizierte Mechanismen, die dem Scheintoten ein Überleben auch nach dem Begräbnis sichern sollten und erkämpfte die Fünftagefrist nach dem Tode, um ein Lebendig-Begrabenwerden auszuschließen.

Die Ausstellung, die jetzt im polnischen Kulturinstitut zu sehen ist, ist erstaunlich aufwendig und liebevoll gemacht. Jede Menge Material hat die Friederike-Kempner-Gesellschaft für diese erste Schau zu Leben und Werk der verspotteten Dichterin zusammengetragen: Zeitungsausrisse, Rezensionen, Fotos, Stammbäume, Dokumente, alles in einem Hochglanzkatalog auf polnisch und deutsch zusammengefaßt. Noch ein bißchen kleiner und beschaulicher wirkt sie (und wirken ihre Gedichte) in diesem vielleicht etwas zu glanzvollen Rahmen.

Immerhin geht ein alter Wunsch (fast) in Erfüllung: „Jung und kräftig, und vom Mute strahlend, / Lebenswarm die Brust, das weiche Herz: / Mitwelt, deine Schuld bezahlend, / Sticht die Nachwelt einst mein Bild in Erz.“ Nicht ganz, aber die Ausstellung hätte sie sicher gefreut.

Im Polnischen Kulturinstitut: Karl-Liebknecht-Straße 7 (Nähe Alexanderplatz). Noch bis Ende Juli, Di.–Fr. von 10 bis 18 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen