Gegen die Abstiegsangst

■ "Elite", ein Nachrichtenmagazin für Handwerker und Polizisten

Das mußte ja so kommen. Weil ein dicklicher Mensch gegen alle Expertentips mit Focus Erfolg hatte, ohne etwas zu sagen zu haben, versuchen sich nun auch andere an der Gattung Nachrichtenmagazin. Wieviel artige Regungen der Spiegel mit seinem journalistischen Defätismus jahrelang unterdrückt haben muß, wird offenbar, wenn man nun mit Elite ein Magazin mit positiver Grundeinstellung in den Händen hält. Nur ein Beispiel: Der Spiegel schreibt am 4. Juli über Bestrebungen, straffällig gewordene Jungendliche nicht länger pädagogisch zu verwahren, sondern sie wieder hinter Schloß und Riegel zu bringen. Das führt zu nichts, mutmaßt der Spiegel, man hätte es ahnen können.

Elite, das neue Nachrichtenmagazin aus Berlin und Paderborn, versucht sich nicht an suggestiver Stimmungsmache. Das Monatsheft geht der Sache auf den Grund. Mit der journalistischen Verve einer Gebrauchsanleitung für Ikea- Regale berichtet man aus dem Innenleben einer Polizeischule in Basdorf bei Berlin. Der Verdacht, hierbei könne es sich um eine Ausbildungsstätte mit rechter Gesinnung handeln (typische Denkungsart von taz-, Rundschau- und SZ- LeserInnen), wird gleich im Einleitungssatz über Bord geworden. Elite bevorzugt die klare Sprache unverbildeter Anhänger des Rechtsstaats. Da darf stilistisch auch schon einmal was danebengehen. Der Chefredakteur und Herausgeber Klaus Kelle selbst macht es seinen Mitarbeitern vor. Mit seismographischem Scharfsinn stellt er fest, daß die Kanzlerpolitik nun wieder ankommen müsse, da dieser im Osten nicht mehr mit faulen Eiern beworfen werde. „Die Menschen in den neuen Ländern hören ihm wieder zu, glauben wieder an die ,blühenden Landschaften‘. Und Kohl verspricht denn auch, ,sie sind unterwegs‘.“

Zum Beispiel in Gestalt von Elite, einem sicheren Schild gegen jeglichen Einfall von Wirklichkeit ins Weltbild. Schon im Editorial gesteht der Chef sein Unbehagen gegenüber der Vielfalt gesellschaftlicher Realität. In anderen Gazetten müssen wir lesen von „den Vorteilen der Nutzpflanze Hanf. Wir lesen von gewalttätigen Schülern und lernen den Cybersex kennen. [...] Was erfahren wir aber über jene Menschen, die unsere Gesellschaft auch und an erster Stelle ausmachen? Wann haben Sie zuletzt über Selbständige in den Neuen Ländern gelesen, die erfolgreich sind? Wann haben Sie zuletzt etwas Positives über junge Wehrpflichtige gelesen?“ Keine rethorischen Fragen – Elite löst sie gnadenlos ein, schon in der ersten Nummer. Wir lesen von erfolgreichen Handwerkern in Ost und West, die sich mit ein wenig Engagement auf die Tugenden deutschen Lebens besinnen.

Meine Kioskverkäuferin verriet mir, daß das 5 Mark teure Elite nicht so aufwendig beworben worden sei wie bei derlei Produkten üblich. Allein der Vertrieb habe den Wunsch geäußert, man möge es neben Stern, Focus und Spiegel plazieren. Es ist kein reiches Blatt, manche Mitarbeiter durften sich so richtig austoben beim Vollschreiben der ersten Nummer.

Elite ist, so gesehen, vielleicht weniger als journalistisches Produkt interessant als vielmehr unter zeitdiagnostischen Aspekten. Schon der Titel ist aus dem Ungeschick heraus geboren, sich in Zeiten sozialen Wandels auf der Stufenleiter zu verorten. Wer sich demonstrativ einer Elite zurechnen muß, erweckt nachhaltig den Verdacht, sein Ziel immerzu zu verfehlen. Elitenbewußtsein erlangt man nicht durch fleißiges Streben, es ist vielmehr ein von anderen verliehenes Attribut, nicht selten in der Absicht, es zu kritisieren.

Das neue Nachrichtenmagazin indes versucht's im Spagat. Im Vertrauen auf die da oben verheißt es gute Aussichten für die aus der Mitte. Elite will das redliche Mittelstandsbewußtsein stärken; scheinbar vermutet man in diesen Kreisen eine tiefgreifende Verunsicherung. Die Zeitgeistmagazine, deren Ableben der Herausgeber im Editorial begrüßt, feierten die selbstreferentielle Inszenierung von Lebensstilen innerhalb der Aufsteigergesellschaft. Abstiegsängste kennzeichnen die positiven Beschwörungen von Elite. Das ist dann doch zu sehr von der Botschaft her gedacht. Der dickliche Focus-Mensch Markwort hatte vermutlich recht damit, daß er vom Medium ausging: Fakten, Fakten, Fakten. Harry Nutt