: Gorleben geräumt Schröder schweigt
■ Griefahn will von Polizeieinsatz nichts gewußt haben / Noch kein Termin für Castor-Transporte
Berlin (taz) – Das Hüttendorf von Gorleben ist gestern morgen geräumt worden. Landtagsabgeordnete in Hannover sprechen von einem „glatten Verfassungsbruch“, die Landesregierung von Niedersachsen will allerdings nicht selbst für den Polizeieinsatz verantwortlich sein. Ministerpräsident Schröder (SPD) gab gestern keine Stellungnahme ab, er hatte letzte Woche den Gorleben-Demonstranten angedroht, „Zivilcourage gebe es nicht zum Nulltarif“. Monika Griefahn (SPD), Umweltministerin Niedersachsens und erklärte Atomkraftgegnerin, sagte, sie sei selbst am frühen Morgen von dem Polizeiaufmarsch in Gorleben überrascht worden. Niemand habe sie zuvor davon unterrichtet. Der Einsatzbefehl soll aber auch nicht aus dem Innenministerium gekommen sein. Ein Sprecher des Innenministers Gerhard Glogowski (SPD) verwies lediglich auf die Zuständigkeit des Landkreises Lüchow-Dannenberg, der allein über die Zulassung von Demonstrationen zu entscheiden habe.
Die Kreispolizei legte diese Befugnis recht großzügig aus. Der Transport abgebrannter Brennelemente aus dem Atomkraftwerk Philippsburg, der am Samstag die Blockade des Atomlagers von Gorleben ausgelöst hat, wird in dieser Woche nicht stattfinden. Die Betreiber des Atomkraftwerkes wollten sich bisher auf keinen Termin festlegen. Die Polizei geht in Lüchow aber offenbar davon aus, daß der Castor-Transportbehälter noch in diesem Monat auf die Reise nach Gorleben geht. Obwohl daher gestern keine unmittelbare Gefahr bestand, erließ der Landkreis ein allgemeines Demonstrations- und Versammlungsverbot im Umkreis von etwa sechs Kilometern um das Atomlager. Die Anordnung soll gelten, bis die Brennelemente in der seit zehn Jahren leerstehenden Halle angekommen sind, die ursprünglich nur als Zwischenlager für hochradioaktive Stoffe gebaut worden war.
Die Räumung der Blockade verlief ohne größere Zwischenfälle, die etwa 300 Demonstrierenden ließen sich von den Polizeikräften ohne Gegenwehr vom Platz tragen. 25 Personen wurden vorübergehend festgenommen, weil sie körperlichen Widerstand geleistet hatten oder sich nicht ausweisen konnten.
Eine Klage gegen die Räumung des Hüttendorfes wurde gestern vom Verwaltungsgericht Lüneburg abgewiesen, über einen weiteren Antrag auf Aufhebung des Demonstrationsverbotes soll heute entschieden werden. Ein Gerichtssprecher räumte gestern diesem Antrag relativ gute Chancen ein. Der Wald von Gorleben könnte dann schon bald wieder besetzt werden. Die Antragsteller – drei Mitglieder der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg – verweisen auf ein Urteil aus dem Jahr 1981: das Gericht hatte damals den Erlaß eines allgemeinen Demonstrationsverbotes für die Umgebung des Atomkraftwerkes Brokdorf für unzulässig erklärt. Die Demonstrationsfreiheit dürfe nicht derart weiträumig und auf unbestimmte Zeit eingeschränkt werden. Niklaus Hablützel
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