: Als die Straßen brannten
■ Wie stellen wir die Erinnerung aus? / Zum 50. Jahrestag des britischen Luftangriffs auf den Bremer Westen
Frau Mager aus Walle feiert am 19.August goldene Hochzeit. An den Tag ihrer Hochzeit vor 50 Jahren erinnert sie sich noch ganz genau. Auf dem Weg zum Standesamt verbrannte sie sich die Füße: In der Nacht zuvor hatte nach einem schrecklichen Bombenangriff der Engländer der Bremer Westen gebrannt. Der Feuersturm war so gewaltig gewesen, daß selbst die Straßen brannten und noch Stunden später unpassierbar waren. Über 1000 Tote, 700 Verletzte, fast 50.000 Obdachlose wurde nach der Bombennacht gezählt – und doch ging Frau Mager am Morgen zum Standesamt. Dort mußte ihr Trauzeuge wegen Trauzeugenmangels noch bei anderen Trauungen aushelfen.
Seit vielen Jahren erforscht Cecilie Eckler-von Gleich im Kulturladen „Brodelpott“ die Geschichte des Stadtteils. In Arbeitskreisen, VHS-Kursen und bei Dia-Abenden beteiligt sie erstaunlich viele und besonders ältere Waller an ihren Ausflügen in die Geschichte des Bremer Westens; ihr Fotoarchiv enthält inzwischen 2.000 historische Fotos. Zum 50. Jahrestag des Bombenangriffs auf Walle bereitet der „Arbeitskreis Brodelpott“ jetzt eine Erinnerungsveranstaltung und eine große Ausstellung vor, die vier Wochen lang in den Schaufenstern von Waller Geschäften zu sehen sein wird.
Die Geschichte von Frau Mager ist auf gewisse Weise typisch für die Erinnerungen der Zeugen. Natürlich erzählen sie von dem schrecklichen Inferno, von Leichenstapeln, Menschen, die im Bunker erstickt sind, vom brennenden Phosphor auf der Haut, vom netten italienischen Eismann, der morgens mit seiner Frau auf einer Bank saß – beide tot. Wo gestern ihre Häuser standen, erstreckte sich nach dem Angriff eine qualmende Trümmerlandschaft bis zum Horizont. Doch Zeugen erinnern sich auch, daß Fenster geputzt wurden, daß Kinder, sofern sie nicht per „Kinderlandverschickung“ evakuiert waren, zur Schule gingen, wenngleich sie wegen der ständigen Fliegeralarme nachts im Bett die Schuhe nicht mehr auszogen. Und es wurde eben auch geheiratet, wenn auch manchmal in einem Hochzeitskleid, das aus zahllosen Flicken zusammengenäht worden war.
„Kriegsalltag“ aus der Sicht der Betroffenen ist das Interesse von Cecilie Eckler-von Gleich, mit dem sie zugleich ihre Probleme hat. Denn keineswegs reden die Alten, die in ihren Schuhkartons ebenso kramen wie in ihre Erinnerungen, zum Beispiel von den „Befreiern“, wenn sie an den englischen „Feind“ denken. 150.000 Brandbomben sollen die Engländer geworfen haben – Befreiung? Die Menschen sind nun mal so: Was war '33? 1933 hab'ich ein Kind gekriegt. Einer, der sich am präzisesten an die Ereignisse vor 50 Jahren erinnern kann, ist Herr Prigge. Herr Prigge wird in der Gedenknacht einen Bericht geben von jener Nacht, er wird mit dem Rücken zu einer Wand stehen, wie er damals an der Bunkerwand stand. Doch auch Herr Prigge wird in seiner Einleitung betonen: „Bedenken Sie bitte bei diesem Bericht, daß es Adolf Hitler gewesen ist, der am 1.September 1939 das Startzeichen für diesen grausamen Krieg gegeben hat.“
Die „Erinnerungsarbeit“ selbst ist nicht ohne Tücken. Man macht, so Cecilie Eckler-von Gleich, die Erfahrung, daß man die vertrauenswürdigsten Erzählungen von „unorganisierte“ Alten bekommt; bei den professionellen Zeitzeugen der VVN etwa (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) sind die persönlichen Erlebnisse meist überlagert von politischen Erklärungsstrategien und nachträglichen Deutungen. Übrigens funktioniert die Erinnerung auch bei Männern anders als bei Frauen. Während letztere erzählen, wie die Kinder im Bunker gelebt haben und wie es war, fünf Jahre lang wegen der vielen Bombenalarme nicht richtig schlafen zu können, streiten sich die Männer lieber über den korrekten Bombentyp und Fragen der Kriegslogistik.
Am 18.8.1944 um drei Minuten vor Mitternacht begann der Luftangriff, dreiundzwanzig Minuten später war er vorüber. Am 18.8.1994 um 17 Uhr wird die Fotoausstellung „Als der Bremer Westen brannte“ in der Wilhadi-Kirche eröffnet. Es folgt ein ökumenischer Gottesdienst , und um Mitternacht eine Gedenkandacht in St.Marien. Danach kommen die Tafeln und Bilder in ein Schuhgeschäft und einen Buchladen auf der Waller Heerstraße, ins Fenster der Sparkasse am Wartburgplatz, in eine Apotheke an der Nordstraße usw. Und es werden wieder Leute stehenbleiben, gucken und plötzlich rufen, das da, das bin ja ich! Vielleicht gerade auf dem Weg zu Standesamt. Burkhard Straßmann
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