: Waldspaziergänge am Abend
■ Neue Demonstration gegen die Castor-Transporte nach Gorleben angemeldet / Ministerpräsident Schröder dankt der Polizei und den Bewohnern des Hüttendorfes
Berlin (taz) – Erst gestern vormittag, mehr als 24 Stunden nach dem Großeinsatz der Polizei in Gorleben, fand auch Niedersachsens Ministerpräsident die Sprache wieder. Gerhard Schröder (SPD) bedankte sich bei den Polizisten und bei den Bewohnern und Bewohnerinnen des Hüttendorf neben den Atomanlagen dafür, daß die Aktion am Vortag relativ friedlich verlief. Die Polizei habe sich überaus zurückhaltend verhalten, so der Ministerpräsident, dieselbe Tugend sei aber auch den Demonstranten zu bescheinigen. Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Demonstrationverbotes, das der Landkreis Lüchow am Mittwoch für die Umgebung der Atomanlagen von Gorleben verhängt hatte, ließ der Ministerpräsident jedoch nicht erkennen. Er stehe voll hinter dem Polizeinsatz und auch dem Erlaß des Landkreises, sagte Schröder im Landtag.
Offenbar soll die Räumung des Hüttendorfs die Atomwirtschaft mehr beeindrucken als die Proteste der Atomkraftgener. Schröder sagte, er stehe ständig in telefonischen Kontakt „mit den Vernünftigen unter den Energiemangern“, um sie auf diesem Überzeugungswege davon abzubringern, einen Castor-Behälter mit abgebrannten Brenenlementen in das Zwischenlager Gorleben zu schicken.
Die landesväterlichen Anrufe aus Hannover haben indessen noch nicht die erwünschte Wirkung erzielt. Die Betreiber des Atomkraftwerks Philippsburg haben für nächste Woche lediglich eine Pressekonferenz angekündigt. Aber Schröder denkt schon an die Zeit nach der Bundestagswahl. Er drohte gestern erneut, die für diesen Winter in Aussicht gestellten neuen Gespräche über einen bundesdeutschen Enegrgiekonsens scheitern zu lassen.
Am frühen Mittwoch morgen hatten acht Hunderstschaften Bereitschaftspolizei das Hüttendorf neben dem Atomlager von Gorleben abgeräumt. Ministerpräsident Schröder und Inneminister Gerhard Glogowsi waren von dieser Aktion informiert worden. Nach dem ersten Demonstrrationswochende habe der Landkreis von Lüchow, „in Abstimmung mit der Bezirksregierung von Lüneburg“, so der Sprecher des Inneminsters, einen Aktionsplan vorgetragen, der die Räumung des Hüttendorf und die Anordnung eines Demonstrationverbotes vorsah. Inneminister Glogowski nahm davon zustimmend Kenntnis.
Die Polizei selbst hat allerdings inzwischen etliche Schwierigkeiten, die Anordnung des Landrates durchzusetzen. Die Hüttenbewohner haben sich nach der Räumung freiwillig nach Trebel zurückgezogen. Auf der Wiese vor dem Doerfgasthaus haben sie sich inzwischen in Zelten eingerichtet. Schon am Mittwoch abend machte sich eine Gruppe von etwa 250 Menschen erneut auf den Weg zum Hüttendorf neben dem Zwischenlager. Als sie von Polizeistreifen angehalten wurden, organiste ein Pastor einen improvisierten Gottesdienst. Die Ordnungshütter mochten in die Verkündigung des Wortes nun doch nicht aktiv eingreifen. Mitglieder der Bürgerinitiative verhandelten danach mit der Einsatzleitung der Polizei. Die beiden Seiten kamen überein, daß der Abendspaziergang von Trebel aus bis zur Grenze des Hüttendorfes ungehindert fortgesetzt werden dürfe.
Vor den verlassenen Holzhütten im Kiefernwald des Grafen von Bernstrorff stand dann allerdiungs eine geschlossene Polizeikette zum Empfang bereit. Neue Verhandlungen mit der Einsatzleitung begannen, die schließlich mit dem Kompromiß endeten, daß kleinere Gruppen von Protestierenden das Hüttendorf betreten durften. Auch diese Einlaßkontrolle wurde im Verlauf des Abends zushends gelockert. Zu Zwischenfällen kam es nicht, die Demonstrierenden kehrten unbehelligt nach Trebel zurück.
Die Bürgerinitiative hat gestern im Landratsamt Lüchow eine neue Demonstration für den kommenden Samstag angemeldet. Sie soll vom Dorf Gedelitz ausgehen, das von der landrätlichen Sperrzone in zwei Hälften geteilt wurde – ein Vorgeschmack auf den Atomstaat kommentiert die Bürgerinitiative den absurden Zustand. Die Genehmigung durch den Landkreis Lüchow steht noch aus.
Aber nicht nur der Rechtsweg wird weiter beschritten. Die Büregrintiative ruft in Anzeigen in der Lokalzeitung dazu auf, den „zivilen Ungehorsam“ einzuüben.“ Die regelmäßigen Versammlungen vor dem Dorfgasthaus in Trebel und auch Waldspaziergänge unter schwerem Polizeischutz sollen fortgesetzt werden. Für Freitag morgen um acht Uhr ist ein Frühstück mit den Senioren der Bewegung, der Initiative der über sechzig jährigen angesetzt. Abends wird eine irische Folkgruppe auftreten, für die nächsten Woche hat sich eine Theatertruppe angemeldet, die ihr aktuelles Stück vorspielen will, Titel: „Der gestiefelte Castor.“ Lediglich der Ort der Premiere steht noch nicht fest: Sie dürfte irgendwo zwsichen Trebel und dem Vorplaztz des Atomlagers von Gorleben stattfinden. Niklaus Hablützel
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