Privilegien für bereits Privilegierte

Heute fällt Entscheidung über den Sitz der neuen Welthandelsorganisation / Alles spricht für Genf / Konkurrent Bonn bot den Diplomaten vergeblich einen Korb von Privilegien  ■ Aus Genf Andreas Zumach

In den Bonner Rheinauen noch ein paar hundert gebührenfreie Parkplätze mehr, am Genfer See ein nagelneuer Konferenzbau. Hier die Befreiung von der Kfz- Steuer, dort der kostenlose Kindergartenplatz für die Sprößlinge der armen Diplomaten und Mitarbeiter der neuen Welthandelsorganisation (WTO). Und beide Städte versprechen einen „Duty Free Shop“ in unmittelbarer Umgebung des Arbeitsplatzes.

Nach hartnäckigem Gefeilsche um mehr und immer noch mehr Privilegien für die ohnehin schon privilegierten Diplomaten wird der zuständige Ausschuß des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“ (Gatt) heute die Entscheidung über den Sitz seiner Nachfolgeinstitution treffen. Öffentlich verkündet wird sie möglicherweise erst nächste Woche anläßlich einer ersten Sitzung des WTO-Vorbereitungsausschusses. Doch alle Informationen, die bislang aus den geheim geführten Beratungen drangen, lassen erwarten, daß die WTO am 1. Januar 1995 ihre Arbeit im bisherigen Gatt-Gebäude am Genfer See und nicht im Wasserwerk am Rhein aufnehmen wird. Dafür sprechen alle sachlichen und politischen Gründe wie etwa die Nähe zu anderen mit Handels-, Wirtschafts- und Sozialfragen befaßten internationalen Organisationen.

Das erst vor vier Wochen in letzter Minute vorgelegte Bonner Angebot für den Sitz einer Organisation, deren Gründung bereits seit Sommer 93 feststand, war zu offensichtlich auf die Füllung künftig leerstehender Gebäude am bald ehemaligen Regierungssitz angelegt. Alle gegenteiligen Beteuerungen des zuständigen Bonner Wirtschaftsministeriums konnten diesen Eindruck nicht verwischen und wirkten auf viele Diplomaten in Genf eher peinlich.

Doch nutzten die Gatt-Vertreter die Bonner Bewerbung gerne, den Preis für einen WTO-Sitz in Genf kräftig hochzutreiben. Mehrfach sah sich die Schweizer Regierung genötigt, ihr ursprüngliches Angebot zu verbessern. Zuletzt Anfang dieser Woche mit der Zusage, daß bei WTO-Diplomaten und -Mitarbeitern aus islamischen Staaten die Aufenthaltserlaubnis für zwei Ehefrauen, unter bestimmten Voraussetzungen sogar vier, erteilt wird. Das Gerücht, die Deutschen hätten neben den offiziell unterbreiteten Offerten informell signalisiert, das „leichte Gewerbe“ in der Provinzstadt am Rhein attraktiver zu gestalten, wurde nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert.

Zeitweise gingen die Wogen der Auseinandersetzung hoch und führten zu Verstimmungen zwischen der Bundesregierung und der UNO. Vor allem, als Anfang Juli auch ein ranghoher Mitarbeiter von UNO-Generalsekretär Butros Ghali in einem Zeitungsinterview öffentlich für Genf plädierte. Nach einer heftigen Demarche der Bundesregierung gegen diese Einmischung mußte die Genfer UNO- Sprecherin Gastaut erklären, die Entscheidung über den WTO-Sitz sei keine UNO-Angelegenheit, sondern allein Sache der Gatt- Gremien. Fallen die Würfel wie erwartet heute für Genf, wird dies allerdings Auswirkungen auf alle anderen in der Rhônestadt ansässigen UNO-Organisationen haben. Auch deren Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sollen dann all die Privilegien erhalten, die für die Beschäftigen der WTO angeboten wurden. Andreas Zumach