: Rot-Grün mit Mao-Zitaten besiegelt
Die Sonderparteitage von SPD und Bündnisgrünen machen den Weg zur rot-grünen Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt frei / Kritik bei Grünen an Verhandlungsführung ■ Aus Magdeburg Eberhard Löblich
Für seine rot-grüne Minderheitsregierung bemühte Sachsen- Anhalts designierter SPD-Ministerpräsident Reinhard Höppner einen Erzkommunisten. „Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, zitierte Höppner auf dem Sonderparteitag der Sozialdemokraten den großen Vorsitzenden Mao Tse-tung.
Allerdings wußte der praktizierende Christ und Gatte einer Pastorin offenbar nicht, auf wen er sich da berief. Er entnahm das Zitat aus der Mao-Bibel einem Katzenplakat über dem Bett seiner Tochter. Für Höppner ist seine geplante rot-grüne Minderheitsregierung ein solcher erster Schritt zur Aufbrechung verkrusteter Politikmuster, in denen Koalitionen weniger zugusten politischer Programme als vielmehr zur machtpolitischen Herstellung von Mehrheiten eingegangen werden. „Wir wollen eine neue Politik machen, die weniger macht- und mehr sachorientiert ist“, erklärte er am Samstag den Delegierten. Und einer ernstgemeinten Sachpolitik, so Höppner, könne sich auch eine CDU auf der Oppositionsbank kaum verschließen. Die Sozis waren überzeugt. Mangels Wortmeldungen ganz ohne Diskussion segneten sie den Koalitionsvertrag mit einem Ergebnis wie zu Zeiten der Nationalen Front ab.
Lediglich Magdeburgs SPD- Oberbürgermeister Willi Polte kann sich nach wie vor nicht mit dem rot-grünen Reformprojekt ohne stabile Mehrheit anfreunden. Polte hatte schon unmittelbar nach der Landtagswahl gegen eine rot- grüne Minderheitsregierung gewettert und aus seiner Sympathie für eine große Koalition kein Hehl gemacht. Mannhaft hob er als einziger seine Stimmkarte, als in der entscheidenden Abstimmung nach Enthaltungen gefagt wurde. Gegen die Minderheitskoalition mit den Bündnisgrünen zu stimmen traute sich selbst Polte nicht.
Ganz so einfach brachte die bündnisgrüne Verhandlungsführerin Heidrun Heidecke das Papier auf dem Sonderparteitag des kleinen Koalitionspartners nicht durch. Es hagelte Kritik an der Kompromißbereitschaft der Verhandlungskommission insbesondere in der Verkehrs- und Innenpolitik. Daß die Bündnisgrünen weder ihre Forderung nach personeller Reduzierung des Verfassungsschutzes noch nach einer Ablehnung verschiedener Autobahnprojekte im Koalitionspapier verankern konnten, wurde der Kommission heftig vorgeworfen. Lediglich die Vereinbarungen zur Umweltpolitik fanden einhellige Zustimmung. Und bei nur zwei Enthaltungen wurde die parteilose Spitzenkandidatin der Bündnisgrünen, Heidecke, zur Umweltministerin nominiert.
Ihr Landtagsmandat muß sie dafür aber niederlegen. Ein Antrag der Verhandlungskommission, daß die künftige Ministerin auch nach ihrer Vereidigung entgegen der Beschlußlage der Landespartei ihr Abgeordnetenmandat vorläufig behalten solle, fand auf dem Parteitag keine Mehrheit. In der Aufbauphase der neuen Landtagsfraktion, so hatte die Kommission ihren Antrag begründet, sei die fast vierjährige parlamentarische Erfahrung Heideckes unverzichtbar. „Wenn die Partei es so beschließt, werde ich auf das Mandat verzichten“, hatte Heidecke zuvor erklärt. Etwas anderes wird ihr nun nicht übrigbleiben.
Neben der Umweltministerin stellen die Bündnisgrünen die Staatssekretäre im Umwelt- und im Justizressort sowie die Staatssekretärin für Frauenfragen in der Staatskanzlei. Mit letztgenannter Position setzten sich die Bündnisgrünen gegen die SPD-Unterhändler durch, die die Frauenpolitik gern an sich gezogen hätten.
Und ganz zum Schluß bewies Heidecke, wie trefflich sie mit ihrem künftigen Regierungschef Höppner harmoniert. Sie warb mit demselben Mao-Zitat, „Der längste Weg ...“, um die Zustimmung des Sonderparteitags zum Koalitionspapier, die dann in geheimer Abstimmung mit 42 gegen 6 Stimmen erfolgte.
Bonner Empörung
Drei Monate vor der Bundestagswahl lösten die Magdeburger Parteitage scharfe Reaktionen der Bonner Regierungsparteien aus. CSU-Chef Waigel nannte die Strategie der SPD gegenüber der PDS den „größten Skandal“ in der Geschichte der Bundesrepublik. Wer sich von den Kommunisten tolerieren lasse, verrate die gemeinsame Sache der Demokraten. Waigel kündigte einen knallharten Wahlkampf an. Die Union im Bundestag hat dazu angeblich eine Strategie entworfen. Kernvorwurf: Die SPD wolle „in ganz Deutschland ein Linksfrontbündnis installieren“. Nach Kanzleramtsminister Bohl wird nun der Aufbau Sachsen-Anhalts schlimm behindert, weil Rot-Grün bei jeder Abstimmung auf die PDS angewiesen sei. FDP-Chef Kinkel: „Die SPD geht einen gefährlichen Weg.“
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