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Wer das Wasser kontrolliert, beherrscht die Region

■ Für eine friedliche Entwicklung in Nahost ist das Jordan-Wassersystem entscheidend

Neben den großen Strömen der Region, Euphrat und Tigris im Norden, der Nil im Süden, spielt auch der vergleichsweise wasserarme Jordan samt seinen Nebenflüssen eine bedeutende wirtschaftspolitische Rolle. Seine Quellflüsse, Dan, Hasbani und Banyas, kommen aus drei Ländern und fließen im nördlichen Israel zusammen. Südlich des See Genezareth nimmt er das Wasser des Jarmuk auf, der auf einer Länge von 40 Kilometern die Grenze zwischen Syrien und Jordanien bildet. Nach der Jarmuk-Mündung wird der Jordan zum Grenzfluß zwischen Israel und Jordanien – und mündet schließlich im Toten Meer.

Die Wasserkrise nimmt in Jordanien und Israel – Ländern mit einem halbtrockenen Klima, Jahren der Dürre und ungenügenden Oberflächen- und Grundwasserressourcen – ständig zu. Das Jordan-Jarmuk-System liefert jährlich 1.400 bis 1.600 Millionen Kubikmeter (MKM) verwendbaren Wassers. Aus politischen Gründen gibt es kaum verläßliche Informationen über das vorhandene Grundwasser vor allem am Westufer, in der besetzten Westbank.

Von israelischer Seite wird verschiedentlich behauptet, es gäbe in der Westbank nicht mehr als 100 bis maximal 300 MKM Grundwasser. Andere Schätzungen belaufen sich auf 600 bis 900 MKM. In Israel, wo eindeutige Angaben für „eigenes, israelisches“ Grundwasser fehlen, wird argumentiert, daß sich das unter der israelischen Küstenebene ansammelnde Grundwasser von dem der Westbank nicht unterscheiden läßt. Von palästinensischer Seite wird darauf hingewiesen, daß von den 1.800 bis 2.000 MKM Wasser, die Israel jährlich verbraucht, nahezu 40 Prozent aus der Westbank kommen. Rund zwei Millionen Palästinensern in der Westbank und im Gazastreifen, deren Wasserverbrauch von Israel kontrolliert und beschränkt wird, stehen nach palästinensischen Angaben jährlich nur 235 MKM Wasser zur Verfügung. Nach dieser Rechnung hat ein israelischer Haushalt sechsmal mehr Wasser zur Verfügung als ein palästinensischer.

Noch vor der Gründung des Staates Israel (1948) wurden Pläne zur „Mobilisierung“ zusätzlicher Wassersysteme oder zur intensiveren Verwendung der spärlich vorhandenen erarbeitet. So finanzierten britische und US-amerikanische Zionisten für das Jordan-Tal den „Lowdermilk Plan“ (1944), der nach dem Muster des großen Elektrifizierungs- und Bewässerungsprojekts in den USA, des Tennessee Valley Authority (TVA), funktionieren sollte. Der Plan bezog auch den libanesischen Litani-Fluß mit ein und ging ebenso großzügig mit dem jordanisch-syrischen Jarmuk um, den man umleiten und in den See Genezareth einmünden lassen wollte. Auch sollte Wasser aus dem Mittelmeer ins Tote Meer geleitet werden – im übrigen eines jener Regionalprojekte, die jetzt im Rahmen der multilateralen Verhandlungen erneut erörtert werden.

US-Regierung in der Rolle des Schiedsrichters

Aus dem Lowdermilk Plan wurde nichts, und auch ein zweites US- Projekt aus dem Jahr 1953 wurde sowohl von Israel als auch von seinen arabischen Nachbarstaaten verworfen. Der Regierung Eisenhower lag jedoch der regionale Aspekt eines „stabilisierenden“, von den USA beherrschten Jordan-Wasserprojekts am Herzen, mit dessen Hilfe auch das Problem der palästinensischen Flüchtlinge aus der Welt geschafft werden sollte. Nach langen Verhandlungen mit den Regierungen der Region stellte im Jahre 1955 der Sonderbeauftragte Eisenhowers, Eric Johnston, seinen „Johnston Plan“ zur Entwicklung des Jordan-Systems und Verteilung der Wasserquoten an Israel, Jordanien, Libanon und Syrien vor. Syrien lehnte den Plan ab, und die Arabische Liga schob den Johnston Plan auf die lange Bank.

Immerhin konnte Washington sowohl Israel als auch Jordanien zu einem stillen Einverständnis bringen, ihre eigenen, inzwischen durchgeführten Wasserableitungs- und Bewässerungsprojekte in der Jordansenke nicht wesentlich von den Grundlagen des Johnston Plans abweichen zu lassen. Jordanien realisierte Teile eines Jarmuk- Projekts: den östlichen Ghor sowie den König-Abdallah-Kanal zu Bewässerungszwecken im Jordantal. Israel konstruierte ein weitaus größeres, 250 km langes Wasserableitungssystem, durch das jährlich 220 MKM Wasser aus dem See Genezareth in die südlicheren Teile Israels gepumpt werden. Syrien versuchte Wasser aus den Quellflüssen des Jordan, Hasbani und Banyas abzuleiten, wurde jedoch 1964 durch Israels militärische Intervention an der Fertigstellung dieses Projekts gehindert. 1967 eroberte Israel dann neue Gebiete im Norden und kontrolliert seither nicht nur die Quellflüsse des Jordan, sondern nutzt auch die Reserven des wasserreichen Golangebirges.

Wenn Israel und Jordanien jetzt am Verhandlungstisch sitzen, werden Wasserverteilung, Projektkoordination und gemeinsame Lösungsversuche der Wassernotsituation, unter der vor allem Jordanien leidet, mit auf der Tagesordnung stehen. Nach den im Johnston Plan festgelegten Quoten gebühren Jordanien, so argumentiert die Regierung in Amman, jährlich 100 MKM Wasser aus dem See Genezareth. Israel hatte dies bislang strikt abgelehnt. Jordanien beschuldigt Israel, 100 MKM Jarmuk-Wasser abzuzapfen und damit die Johnston-Quote von 25 MKM zu überschreiten.

Man kann mit großer Wahrscheinlichkeit annehmen, daß die US-Regierung auch weiterhin die diskrete, aber entscheidende Rolle des Schiedsrichters spielen wird. Die USA werden letztlich auch darüber entscheiden, welchem der großen gemeinsamen Vorhaben der Vorzug gegeben werden soll: dem Kanal vom Mittelmeer zum Toten Meer oder der von Jordanien befürworteten Wasserverbindung zwischen Totem Meer und dem Golf von Akaba/Eilat. Amos Wollin, Tel Aviv

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