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Weltmeisterschaft der verpaßten Chancen

■ Leichtathletik-WM der Behinderten: Zuwenig für behindertengerechte Stadt

Ein „Ereignis von Weltrang“ soll sie werden, die erste Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Behinderten – das wünscht sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen. Die Premiere, an der 1.300 SportlerInnen aus 61 Ländern teilnehmen, findet vom 22. bis 31. Juli im Berliner Olympiastadion statt. Zehn Tage lang werden die Sportler in 18 leichtathletischen Disziplinen um 822 Medaillen wettstreiten.

Während Diepgen sich sorgt, daß die Wettkämpfe womöglich vor halbleeren Rängen stattfinden, und große Unternehmen der Stadt dazu aufruft, Karten für ihre Mitarbeiter zu erwerben, kritisiert der Behindertenverband Movado e.V. die „verpaßte Chance“, beim Ausbau einer behindertengerechten Stadt voranzukommen. Auf Unverständnis stößt vor allem der nur vorübergehende Ausbau des Olympiastadions. Rund 650.000 Mark wurden investiert, um Rampen zu bauen oder ebenerdige Zugänge zu schaffen. Für Rollstuhlfahrer werden 300 zusätzliche Tribünenplätze geschaffen und überall behindertengerechte Miettoiletten aufgestellt. Doch nach der Weltmeisterschaft wird alles wieder abgebaut. „Das sind nur Provisorien. Für einen dauerhaften Umbau würde das Geld nicht reichen“, sagt der Pressesprecher des federführenden Sportsenators, Andreas Moegelin. Ein behindertengerechter Umbau des Olympiastadions sei derzeit nicht sinnvoll, weil die Sportstätte ohnehin umfassend saniert werden müsse. „Das eine macht ohne das andere keinen Sinn“, so Moegelin. Von der Weltmeisterschaft erwarte der Sportsenator jedoch „Impulse“ nicht nur für den Behindertensport in der Stadt, sondern auch für behindertengerechtes Bauen.

„Es ist nicht anders machbar“, sagt auch Martin Kuder, Pressereferent der Veranstalter. Bevor beim Olympiastadion die Eigentumsverhältnisse geklärt seien, könne nicht umgebaut werden. Wann die Sanierung des Stadions in Angriff genommen wird, darüber wagt Moegelin keine Prognose abzugeben. Woher die benötigten 200 bis 300 Millionen Mark kommen sollen, ist unklar.

Von einer behindertengerechten Stadt ist Berlin noch meilenweit entfernt. Eine Untersuchung von mehr als 17.000 auf ihren behindertenfreundlichen Zugang geprüften Geschäfte, Hotels, Gaststätten, Banken, Apotheken und Arztpraxen ergab laut Guy Besson von Movado e.V., daß nur 20 Prozent für einen Rollstuhlfahrer gut oder bedingt geeignet waren.

Pressereferent Martin Kuder knüpft vor allem eine Erwartung an die Weltmeisterschaft: „Es ist eine Gelegenheit, ein anderes Bild von Behinderten in die Öffentlichkeit zu bringen. Es wird ein spannendes Sportereignis mit Spitzenleistungen. Die Sportler entsprechen eben nicht dem Klischee der bemitleidenswerten und hilfebedürftigen Behinderten.“ Dorothee Winden

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