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Die weggelogene Geschichte

■ Freya Kliers Trilogie „Frauen im Dritten Reich“: Diskussion in Bremen

Massenvergewaltigungen von Frauen durch Soldaten der Roten Armee und Deportationen ostdeutscher Zivilisten – ebenfalls meist Frauen – durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD: Dies waren in der ehemaligen DDR vollständig tabuisierte Themen. Ihnen widmet sich die Schriftstellerin und Regisseurin Freya Klier mit ihrem Film „Verschleppt ans Ende der Welt“.

Mit: „Paßt nicht ins Sendekonzept“ mußte sich Freya Klier jahrelang von den Redakteuren in den Fernsehanstalten des wiedervereinigten Deutschland abspeisen lassen. Offensichtlich hatte man Berührungsängste oder fürchtete den Vorwurf, Ressentiments gegen „die Russen“ zu bedienen.

Doch der Autorin geht es um ganz anderes. Jegliche Relativierung der von Deutschen in den zwei Weltkriegen begangenen Verbrechen liegt ihr fern. Ihr Film will vielmehr ein Beitrag zur offenen Diskussion in einer Republik sein, in der – so die Autorin beim Gespräch am vergangenen Dienstag in der Landesbildstelle Bremen – „Teile, die der Geschichtsschreibung nicht passen, einfach ausgelassen oder weggelogen werden“. Also reiste sie 1993 mit drei Frauen nach Sibirien an den Ort, an den diese vor über 40 Jahren von Sowjets verschleppt worden waren. Eva-Maria Stege, Gertrud Gessner und Käthe Schwengler begeben sich auf eine Spurensuche, die für sie zur schmerzhaften Erinnerungsarbeit gerät.

Schließlich geht es um mehr als „Fußnoten der Geschichte“: Hunderttausende verschleppter Frauen, die in den Lagern Sibiriens unter härtesten Bedingungen über Jahre die deutsche Kriegsschuld abarbeiteten – im Straßen- und Kohlebergbau, im Wald und auf den Kolchosen, viele von ihnen vor der Deportation unzählige Male vergewaltigt. Mehr als ein Drittel dieser Frauen kam nie aus Rußland zurück, sondern starben in den dortigen Lagern an Schwäche, Seuchen und Unterernährung.

Dies aber ist nur die eine Seite. Neben den heute ein halbes Jahrhundert zurückliegenden Verbrechen ist die andere Seite, das bis heute andauernde Schweigen darüber. Hier liegt das wahre Tabu und hier gilt es, „entschieden gegen die Barrieren im eigenen Kopf anzugehen“, wie Freya Klier ein Hauptanliegen ihres Films umriß. Denn dieses Schweigen ist nicht zufällig. Eher handelt es sich um eine Weigerung, insbesondere über die Massenvergewaltigungen zu sprechen. Denn sowohl in der Tabuisierung während der DDR-Zeit als auch in der Scheu der Fernsehanstalten vor diesem Thema zeigt sich – hinter der möglicherweise nur vorgeschobenen Begründung, man wolle das Verhältnis zu Rußland nicht unnötig belasten – das gleiche Grundphänomen: Frauen, die von Männern vergewaltigt wurden, werden von ihren eigenen Männern häufig auch noch als schuldig angesehen. Dies ist durchaus nicht metaphorisch gemeint (wie etwa die Rede von der Jungfernschaft als „Unschuld“), und es war auch nicht etwa nur im Zusammenhang mit dem Golfkrieg vor 4 Jahren und derzeit leider noch aktuell in Bosnien zu beobachten. Nein, auch hier bei uns sahen – und sehen – sich die betroffenen Frauen dazu veranlasst, über solche Erlebnisse zu schweigen. Allzu viele Frauen mußten nach dem Zweiten Weltkrieg eine weitere bittere Erfahrung machen. Begannen sie über die Vergewaltigungen zu sprachen, riskierten sie Gegenfragen wie: „Warum hast du das mit dir machen lassen?“ oder sogar: „Warum hast du dich nicht umgebracht?“

„Verschleppt ans Ende der Welt“ ist der erste Teil der Trilogie „Frauen im Dritten Reich“. Der zweite Teil beschäftigt sich mit polnischen Widerstandskämpferinnen im KZ Ravensbrück(erscheint im Dezember als Taschenbuch im Knaur Verlag), im dritten wird eine Frau portraitiert, die erst während der Nazizeit und dann in der DDR denunziert und inhaftiert wurde (voraussichtlich als Film des MDR).

Moritz Wecker

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