Sanssouci: Vorschlag
■ Eine schwarze Frau im KZ - Lesung von Michele Maillet
Nur ganz wenige Quellen gibt es zur Geschichte der schwarzen Frauen und Männer im Nationalsozialismus. Auf der Basis einzelner verstreuter Hinweise, Bemerkungen, Beobachtungen in den Berichten nicht-schwarzer KZ-Überlebender, in Zeitungsnotizen, Akten u.a. entwickelte die französische Autorin Michèle Maillet daher die Geschichte einer schwarzen Frau aus Martinique, die 1943 aus Frankreich ins KZ Ravensbrück deportiert wird. Was sich wie ein autobiographischer Bericht liest, ist eine Fiktion, in der die Stimme der ebenfalls aus Martinique stammenden Autorin zu der ihrer Protagonistin Sidonie wird: Eine Konstruktion, die der Namenlosen, die unter 5.000 Eintragungen in den sogenannten Zugangslisten des KZ Ravenbrück als „Neger-Mischling“ kategorisiert wurde, eine Stimme zurückgibt und sich dem allgemeinen Vergessen entgegenstellt.
Die Geschichte Sidonies ist nicht ohne Ambivalenz: Denn ausgerechnet die Tätowierung der Häftlingsnummer läßt in Sidonie ein Wissen um die Geschichte der Sklaverei erwachen. Diesem „schwarzen Horizont“ geht sie entgegen, diese Kraft der Erinnerung und der Imagination wird im Verlauf des Romans zu einem anderen Weg des Nicht-Verschwindens. Der immer weitergehenden Enteignung setzt Sidonie ihre Erinnerungen an die Insel Martinique entgegen, ihre eigene Sprache. Maillets Konstruktion von Sidonies Notizheft erzählt von verschiedenen Weisen des Standhaltens: Träume von Farben und Düften, Klänge einer anderen Welt. Ihre Visionen knüpfen parallel dazu an eine kollektive Erinnerung der Zeit der Sklaverei und die Utopie des Widerstands an. Diese Momente im nüchtern erzählten, beklemmenden Leben und Sterben im Lager benennen die Macht der Imagination – „... eine andere Landschaft im Blick“ – dort, wo selbst der Tod einen Namen hat, ein lächelnder Unbekannter, der Geschichten und Rituale heraufbeschwört und für den es Umgehensformen gibt. Susanna Hakenjos
Michèle Maillet liest heute, 18 Uhr, Gedenkstätte Ravensbrück, Straße der Nationen, Fürstenberg; morgen, 20 Uhr, Haus der Demokratie, Friedrichstraße 165, Mitte; am 23.7., 19 Uhr, Frauenschmiede, Richardplatz 28, Neukölln und am 25.7., 20 Uhr, Brecht-Haus, Chausseestraße 125, Mitte.
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