piwik no script img

Die Kunst des Hüftschwungs

■ Trotz der Kloschüsselsitze zu empfehlen: „Das kleine Kammerspiel“ im Fly & Dream/Goethe Theater

Wo es Michael Kohlhaas immerhin noch um zwei Pferde ging, kämpft die Klofrau bloß um 1,50 Mark. Aber auch sie setzt sich für Gerechtigkeit ein und gegen die herrschende Klasse: Die zahlungsunfähige Kundin wird an Ort und Stelle interniert, der Machtkampf zwischen der gutsituierten Dame und der Deklassierten nimmt seinen Lauf.

Oder: Gleich als die Dame hereinkam, hat die Klofrau mit dem goldenen Herzen gesehen, daß etwas nicht stimmt. Die Einsperrung gehört zur Therapie. Altersweise räsonniert die Klofrau über das Leben. Am Ende hört die Dame auf, sich etwas vorzumachen, und bricht in heilsame Tränen aus. Oder ist die Klofrau einfach übergeschnappt?

„Das kleine Kammerspiel“ der österreichischen Bestseller-Autorin Brigitte Schwaiger schwelgt nicht in Rätseln. Aber gerade weil Klofrau und Dame kurz, knapp und sachlich miteinander reden, bleibt vieles unausgesprochen und mysteriös. Stur beharrt die Klofrau auf ihrer Forderung, ganz gleich, ob die Dame sie zu bestechen versucht oder gewalttätig wird, ihr droht oder sich aufs Bitten verlegt. Die Handlung verläuft im Kreis, die Absurdität und die Komik der Situation steigern sich spiralförmig. Es könnte ewig so weitergehen. Aber gerade als man es am wenigsten erwartet, gibt die Klofrau ihr Opfer frei.

Im Fly & Dream/Goethe Theater wischt eine blasse, schlampig frisierte unscheinbare Frau (Maria Gräfe) über Spiegel und Waschbecken und summt dazu eine trübe kleine Melodie. Die schöne, elegante Dame (Charlotte Algermissen) schenkt ihr kaum einen Blick. Später schmollt sie wie ein verwöhntes Kind, zischt vor Wut und stampft mit dem Fuß auf. Ihre Widersacherin dagegen wahrt den Schein stoischer Ruhe: die Ruhe der hartgesottenen Berlinerin, der nichts imponieren kann.

Aber so still sie auch sitzt, immer reibt Maria Gräfe nervös ihre Daumen an den Zeigefingern. So ruhig sie auch steht, sie schwankt ganz leise von einem Fuß auf den anderen und zurück. Und so störrisch sie auch vor sich hinstarrt, aus den Augenwinkeln belauert sie stets die Dame. Wenn diese eine Zigarette fallenläßt, hebt die anderen sie dienstfertig auf. Und wenn sich die Dame in Positur wirft, dann versucht auch die Klofrau einen kleinen, ungeschickten Hüftschwung.

Maike Techen gibt mit dem „Kleinen Kammerspiel“ ihr Regiedebüt nach ihrer Abschlußprüfung an der Ernst-Busch-Hochschule. In ihrer Inszenierung gerät das Toilettendramolett zu einer zarten Liebesgeschichte, wie zwischen einem häßlichen Drachen und einer schönen Prinzessin. Sacht streicht die Klofrau der heulenden Dame über das Haar und preßt ihre Hand. Eine zärtliche, sehnsüchtige Geste, rührend in ihrer Unbeholfenheit. Die Dame freilich weicht voller Ekel aus.

Nur ganz am Ende, da kommt sie noch einmal zurück in ihr Gefängnis – anders als bei Schwaiger – und schenkt der Klofrau ihre Handtasche. Als Bestechung wollte diese die Tasche nicht nehmen, aber sie hat sie ganz vorsichtig angefaßt und mit dem Lappen abgewischt, mit dem sie auch den Spiegel saubermacht und ihr eigenes Gesicht. Mit diesem Geschenk läßt die Dame der Klofrau etwas von sich selbst zurück, ein greifbares Zeichen eines Lebens in Schönheit und Eleganz, außerhalb des Kellers, in dem die Toiletten untergebracht sind.

Für die Zuschauer stehen gegenüber der Bühne weißglänzende Kloschüsseln als Sitze bereit – ein origineller, aber auch sehr unbequemer Gag. Blasenkranken wird empfohlen, eine Brille mitzubringen. Auch wenn ein Zuschauer lauthals gegen die konsequente Durchführung der Toilettenästhetik protestierte: Zumindest sind die Sitze fabrikneu. Boris von Emdé, der Leiter des Theaters, hat 80 Zweite-Wahl-Schüsseln bei einer Kölner Porzellanfirma ergattert. Eine Stunde läßt es sich bei einer so außerordentlich guten Aufführung darauf schon aushalten. Miriam Hoffmeyer

Bis 31.7.: Fr./Sa. 22 Uhr, So./Mo. 20 Uhr, 1.–20.8.: Di. und Sa. 20 Uhr, Fly & Dream/Goethe Theater im Flughafen Tempelhof, Eingang links neben der Schalterhalle.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen