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Einem Baby droht Abschiebung

■ Asylgesetze werden immer grotesker / Säugling soll sofort ausreisen

Vor etwa einer Woche erhielt Berivan Y. vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Bescheid über die Ablehnung ihres Asylantrages. Damit verbunden ist die Aufforderung, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats zu verlassen, sowie ein weiterer Zusatz: „Sollte die Antragstellerin die Ausreisefrist nicht einhalten, wird sie in die Türkei abgeschoben.“ Ein bekanntes Vorgehen, das jedoch in diesem Fall besonders groteske Züge trägt: Berivan Y. ist gerade einmal fünf Monate alt.

Das Mädchen, türkische Staatsangehörige kurdischer Nationalität, wurde am 3.2.94 in Cuxhaven geboren. Die Eltern leben seit zwei Jahren in Deutschland. Ihr eigener Asylantrag wurde bereits abgelehnt, sie haben jedoch einen Folgeantrag gestellt, über den noch nicht entschieden wurde. Als das Kind geboren wurde, sagte man ihnen auf dem Sozialamt, daß sie für dieses einen eigenständigen Antrag einzureichen hätten. Sie folgten der Aufforderung, sind allerdings über die Folgen hell entsetzt. Wird man ihnen das Baby wegnehmen und in die Türkei abschieben?

Petra Brand, Mitglied des Bremerhavener Kreisverbandes der Grünen/Bündnis 90, nahm sich des Vorfalles an. Gemeinsam mit einem Kurden, der für seine Landsleute im Umkreis schon mal als Dolmetscher fungiert, suchte sie direkt das Verwaltungsgericht Stade auf, wo gegen den Bescheid Klage erhoben werden kann. „Was würden Sie tun“, fragte sie empört den Gerichtspräsidenten, „wenn ich Ihnen ein Baby auf den Tisch legen und gehen würde?“ Das dürfe sie nicht, erklärte Eike Schmidt, sie mache sich sonst strafbar. „Aber genau das haben Sie doch vor, Sie wollen ein Baby aussetzen“, konterte die Grüne.

Aller Voraussicht nach wird das jedoch nicht passieren. Schon, weil die kurdische Familie aus einem jener zehn Notstandsgebiete im Südosten der Türkei stammt, für die das niedersächsische Innenministerium einen zunächst bis zum November geltenden Abschiebestopp verfügt hat. Eike Schmidt nimmt es jedoch auch aus anderen Gründen gelassener: „Es ist doch selbstverständlich, daß das Baby nicht abgeschoben wird“, beteuert er gegenüber der taz. Das Kind, so schreibe es nicht zuletzt der in Artikel 6 Grundgesetz verankerte Familienschutz vor, bleibe in jedem Fall bei den Eltern, ob diese nun ihrerseits abgeschoben werden oder nicht.

Ob es, wie vom Sozialamt behauptet, überhaupt notwendig war, für den Säugling ein eigenständiges Asylverfahren zu eröffnen, bezweifelt der Gerichtspräsident. Schließlich war die Ablehnung abzusehen, „wie soll das Bay denn hier verfolgt werden?“ Normalerweise, so die Erfahrung des Juristen, werden Kleinkinder unterm Familienasyl aufgenommen. Sicher ist Eike Schmidt allerdings, daß der eigens formulierte Antrag nicht schaden kann. Ob das auch für eine längere Perspektive gilt? Klar jedenfalls ist, daß einmal in Deutschland abgelehnte AsylbewerberInnen jedes Recht auf ein zweites Ersuchen verwirkt haben.

Während der Anwalt der kurdischen Familie davon ausgeht, daß der Asylantrag für Berivan notwendig war, weil sie ins Asylverfahren der Eltern nicht ohne weiteres hätte aufgenommen werden können, spricht man beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge von Kann-Bestimmungen: „Wenn das Kind ins Verfahren rein soll, würde ich das machen“, meint Dietrich Hinkelmann, Dienststellenleiter in Langenhagen. Es sei „sinnvoll“, aber ob dies notwendig ist oder nicht, komme auf den Einzelfall an, und über den dürfe er nun mal nicht reden. Allerdings sei ihm kein Fall bekannt, in dem ein Kind von den Eltern getrennt und abgeschoben worden sei.

Im Übrigen könnten die Eltern auf dem ganz normalen Wege beim Verwaltungsgericht gegen den Ablehnungsbescheid Klage erheben. Das können sie nicht nur, das müssen sie sogar. Ob sie sich so gut in diesem Recht auskennen, das nicht einmal deutsche Juristen entflechten können? dah

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