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Männer unter Strom

■ Dein Stromversorger und Du: wie Stadtwerker Spitzenlasten wegstecken, mit Gasturbinen und Megawatts hantieren und auf die Lausitz umschalten

Erinnern Sie sich noch? Wie damals Dietmar Schönherr und Vivi Bach bei „Wünsch Dir was“ den TED erfanden? Nicht diese grausige mit bimmelim verkündete Computeranalyse des „Teledialogs“, mit dem Frank Elstner bei „Wetten daß...“ seine Wettkönige kürte. Damals ging das noch ganz beschaulich: „Liebe Zuschauer, wenn Sie Familie A für die bessere halten, schalten Sie bitte jetzt das Licht ein...“ Und in diesem Moment schlug für die Ingenieure der Abteilung „Lastverteilung“ der Energieversorger die große Stunde. An ihren Schaltpulten sitzend, beobachteten sie die Verteilung der Publikumsgunst – je nachdem, ob die Verbrauchszähler schlagartig mehr bei Familie A oder bei Familie B ausschlugen. Das interaktive Fernsehen war geboren.

Ich hänge ja an Waldeck. Genauer gesagt mein Fernseher, der Kühlschrank, meine Aquarienleuchte und die Espressomschine. Denn Waldeck heißt das armdicke Kabel, mit dem die halbe Neustadt mit Strom versorgt wird. 50 bis 60 solcher Stromkabel, die eine Spannung von 110.000 Volt führen, bilden die eigentlichen Lebensadern dieser Stadt – ihrer Wichtigkeit entsprechend haben sie alle einen Namen, heißen „Pfalzburg“, „Lausitz“, „Steigerwald“ oder „Vogler“.

Ein durchdringendes Klingeln schallt durch die Lastverteilungs-Schaltzentrale. Kommandos schwirren durch den Raum im Stadtwerke-Haus, dreieinhalb Hebel werden gedrückt, sechs Lämpchen springen von rot auf grün und umgekehrt: Ein Störfall? „Die haben nur mal–n Kabel getestet“, murmelt ein Ingenieur und schaut gelassen auf die riesige Anzeigetafel, auf der es nur so vor roten und grünen Lämpchen, Waldecks, Steigerwalds und Württembergs schwirrt. Dabei weiß niemand, wer „die“ sind. 110.000 Volt!

Sie stecken die Heizung Ihres Wasserbetts in die Steckdose und sie läuft. Im Grunde immer noch ein technisches Wunder! Jetzt sind Sie und Ihr Wasserbett ja nur ein kleiner Fisch, wohingegen das Anfahren eines Klöckner-Hochofens so ziemlich das stromfressendste ist, was den Stadtwerken auf einmal unterkommen kann. Doch wenn wir den Männern von der Lastverteilung, die mit einem Knopfdruck ganze Stadtteile vom Netz abschneiden könnten, mittels detaillierter Fahrpläne und der Ermittlung von Spitzenzeiten aber genau das zu vermeiden versuchen, Glauben schenken, ist selbst der Hochofen nix Besonderes: „Da fahren wir die GT an, die ist in 3,5 Sekunden von 0 auf 80 MW, und gut is'“, erklärt Ingenieur Andre Becker nicht ohne Stolz. Ich bin erst dann beeindruckt, als sich herausstellt, daß es sich bei der GT um eine Gasturbine im Kraftwerk Mittelsbüren handelt, die quasi von jetzt auf gleich 80 Megawatt Strom produzieren kann, das sind 80 Millionen Kilowattstunden – und 30 Millionen davon verbraucht Klöckner mal eben so. Aber bei einer gut funktionierenden Vorratshaltung – rund ein Drittel aller Stromkapazitäten der Kraftwerke Mittelsbüren, Hafen und Hemelingen werden nie genutzt – gerät man in der Lastverteilung auch dann nicht ins Schwimmen.

Im Grunde sind die Stadtwerker in der Lastverteilung die wahren Soziologen. Sie wissen nicht nur, wann die Mehrheit aller BremerInnen nach Hause kommt und das Licht einschaltet. Ein Studium des Fernsehprogramms läßt Schlüsse zu, wann am Heiligabend die Menschen ihre Backöfen für den Festtagsbraten einschalten werden – daraus leiten sie ab, welcher Kraftwerksblock wann mit welcher Leistung gefahren werden muß. Und bei Störungen stehen die Ingenieure besonders unter Strom: Das „Puzzle“ der Stromverteilung muß in Sekunden neu zusammengesetzt werden. Und der Fehler in 8.660 Kilometern Kabel und Freileitungen gefunden werden... skai

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