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Geprotzt wird nicht

■ Frankfurts 445 Millionen schwerer Behördenneubau wird mit Kunst ausgestattet

Dem Rechenschiebergeist des Gegenstandes angemessen, einige Zahlen vorneweg: Das im Mai offiziell eröffnete Behördenzentrum in Frankfurt am Main (BZF), das fünf Finanzämter, eine Polizeidienststelle, drei Verwaltungsfachhochschulen, das Hessische Straßen- und Autobahnamt, eine Cafeteria und eine Kindertagesstätte umfaßt, stellt die flächenmäßig derzeit größte Baumaßnahme des Landes Hessen dar, mit einem Investionsvolumen für den Neubau von 445 Millionen Mark. Einen Landesrekord bedeutet auch der vorgesehene Etat von 3,3 Millionen Mark für die Kunst am Bau. So gesehen kommt der Kunst im BZF eine exemplarische Bedeutung für das Kapitel „Kunst im bürokratischen Alltag“ zu.

Um einen „Querschnitt der jüngeren Frankfurter Kunstszene“ in die Behördenräume zu locken, wurde für die künstlerische Auseinandersetzung mit den Innenräumen des BZF 1993 ein beschränkter Wettbewerb zwischen zwölf Künstlerinnen und Künstlern aus Frankfurt ausgeschrieben. Mit dem Kunstbeirat des Landes Hessen waren sich die Künstler bald einig über ihre Konzepte. Situationsbezogen halten sich ihre Werke bescheiden zurück – aufdringlich will man dem Steuerzahler, dem öffentliche Kunstausgaben eh ein Dorn im Auge sind, nicht kommen. Den klassichen Aufgaben der Kunst am Bau – der Repräsentation und der Dekoration – begegneten die Künstler mit feiner Ironie. Geprotzt wird nicht.

Für das Dienstgebäude der Polizei dachte sich Gerald Domenig eine kleine Versuchsanlage aus. Hat man die Kontrolle des Pförtners überwunden, dann sieht man im Foyer ein grünes Hängeschränkchen, in dem 50 Exemplaren von Flann O'Brians Roman „Der dritte Polizist“ auf den Leser lauern. O'Brian läßt seine Polizisten fachsimpeln: „Ein Dreier-Gerüst mit anständiger Falltür und befriedigenden Stufen würde Sie – ohne Strick und Arbeitslohn – um zehn Pfund zurückwerfen.“ Sollte diese Diskussion der preisbewußten Polizisten oder deren hundertprozentige Aufklärungsquote bei Fahrraddiebstählen die Bediensteten der Frankfurter Polizei interessieren, dann wird die Aufforderung des Künstlers zur Ausleihe und freiwilligen (!) Rückgabe der Bücher zu einem kleinen Test für die Ehrlichkeit der Polizei.

An das berufliche Interesse der Beamten knüpfen auch Vollrad Kutscher und die Malerin Nicole van den Plas an. Kutscher hat Berühmtheiten der Steuerwelt – wie den legendären französischen Finanzminister J. Necker oder, schon jetzt Liebling der Angestellten, Dagobert Duck, „reichster Bürger im Steuerparadies Entenhausen“ – auf winzige Glühbirnchen gezeichnet. Doch die verzerrte Projektion der Portraits in den Fluren gleicht einer Geisterbeschwörung, die in ihrer Flüchtigkeit zu dem angestrengten Witz nicht passen will.

Nicole van der Plas malte in zwei der Sitzungszimmer monochrome, pulsierende Farbflächen auf die Wände. Die Farben beziehen sich auf historische Allegorien über die Tauschbeziehungen zwischen Gold und Tugend, die als kaum wahrnehmbare Zeichnung auf einem weißen Feld zitiert werden. Gerade in der nüchternen Arbeitsatmosphäre erweisen sich die Farbflächen als potentielle Bilder, die den Betrachter wie ein leeres Blatt herausfordern, seine eigenen Vorstellungen zu projizieren. Aus der Demontage der Kunstgeschichte wird nicht nur eine Studie über die Bestandteile der Malerei, sondern zugleich über ihre ökonomischen Voraussetzungen.

Neben den Sitzungsräumen bilden die Verkehrsknotenpunkten der langen Gänge, die die fünf hintereinandergestaffelten Flügel der Finanzämter mit einem Quergebäude verbinden, einen Schwerpunkt im Kunstprogramm. Hier hat sich Jakob Mattner intensiv in die Raumstruktur eingeschaltet. Mit großen Spiegeln weitet er das Kreuz der Korridore zu einem virtuellen Stern. Sie versetzen den Besucher unvermittelt aus der Großraum-Arbeitsmaschine in die Atmosphäre eines Theaterfoyers.

Auf die Erfahrungen des Behördengängers scheint sich Heiner Blum mit einer Installation im Eingangsbereich der Fachhochschulen zu beziehen. Er läßt Scheintüren aus Edelstahl in die Wand ein, in die zwar Schlüssellöcher geschnitten sind – Griff und Schlüssel aber fehlen. Dieses Bild der Vergeblichkeit ergänzt er mit Vornamen, die er als negatives Schriftbild auf die Wand setzt. Einerseits behaupten sie sich in ihrer Privatheit gegen die Degradierung des Individuums zur anonymen Steuernummer. Andererseits erweist sich in ihnen der kumpelhafte Ton der bloßen Vornamen als plakative Fassade, die die Fremdheit nicht aufheben kann.

Ob in den Piktogrammen von Urs Breitenstein, den Lichtinstallationen von Achim Wollscheid und Charly Steiger oder den sparsamen Wandmarkierungen von Bernd Vossmerbäumer: Die Kunst im BZF hat sich von jeglicher Rahmung befreit. Minimalistisch, cool und intellektuell scheint sie ihr allmähliches Verschwinden nicht zu fürchten. Das mag als Anpassung an den Zeitgeist erscheinen, zeichnet sich im Vergleich mit den zwei Grundübeln der Kunst im öffentlichen Raum – der Kungelei mit dem Publikumsgeschmack und der monumentalen Repräsentation – aber durch mehr Realitätssinn aus. Hier wird Alltags- statt Sonntagskunst gemacht.

Gegenüber der Architektur blieb der Kunst allerdings zum größten Teil wieder nur der Part einer nachgeordneten Interpretation der Räume. Einzig die Gruppe Formalhaut, die 1990 einen Wettbewerb für den Außenraum des FBZ gewann, wurde schon in die Architekturplanung miteinbezogen. Doch von ihrem Konzept ist vorläufig nur der dekorative Teil verwirklicht worden. Sie wollten die „Ämterstraße“, die als Fußgängerzone die einzelnen Gebäude miteinander und mit einer Grünanlage verbindet, als ein aktuelles Forum für Videokunst und Fotografie gestalten. Die Realisierung des Konzepts droht nun an der Starrheit der Etat-Regelungen zu scheitern.

Dabei wurde ihr Plan schon im Vorfeld gelobt. Denn ihre Idee versprach zum einen, der Verschiebung des sogenannten „öffentlichen Raumes“ auf die Mattscheiben der Monitore Rechnung zu tragen. Zum anderen wäre es mit den elektronischen Medien erstmals gelungen, temporäre Inszenierungen in die Kunst am Bau aufzunehmen. Anstatt nur die eigene Präsenz zu betonen, wollte Formalhaut die Ämterstraße zudem der Beteiligung anderer Künstler öffnen. Allein dieses dynamische Konzept brachte die Behörde in ein „system-immanentes Dilemma“, wie Giselher Hartung von der Staatlichen Neubauleitung schrieb: Sie wollte die Kosten für die Hardware nicht ausgeben, solange die Finanzierung der Software, des Betriebs des Videoforums, nicht langfristig gesichert ist. So blieben von dem komplexen System, das sich Formalhaut erdacht hatte, nur die bunten Hüte übrig, die wie eine trunkene Karikatur auf die Hochhauskulisse Frankfurts über den Dächern der Finanzämter taumeln. Da nützt es wenig, daß man beim Bau in die Fassade schon jene Lautsprecher integrierte, mit denen Formalhaut das BZF akustisch in eine exotische Kulisse von Tierschreien und Sturmgeheul verschieben wollte. Katrin Bettina Müller

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