Dorfschulbänke

■ Vor den Feiern zu 150 Jahren Schulpflicht in Bremen arbeitet in Huchting der Kulturladen: Mehr Authentizität

In Kürze werden an sieben Orten in der Stadt Ausstellungen und Feierlichkeiten zum Thema „150 Jahre Schulpflicht in Bremen 1844-1994“ beginnen. Der Titel „Geh zur Schul und lerne was“ stimmt in eine Grundmelodie ein, die Jahrzehnte lang den Eindruck erweckte, als wäre der Schulpflicht ein befreiender Impuls zu eigen. Frei nach dem Motto: „Bildung für alle! Bildung macht frei!“

„Nein, einen emanzipatorischen Aspekt hat die Einführung der Schulplicht eigentlich nicht. Dadurch hat sich kaum was geändert, auch zuvor konnten die Kinder lesen und schreiben.“ Martina Käthner, promovierte Pädagogin und derzeit im Kulturladen Huchting mit einem Forschungsprojekt beschäftigt, stellt ihre These, völlig unabhängig vom koordinierten Feiern, zum richtigen Zeitpunkt auf.

Das Projekt „Die Schule Kirchhuchting - aus dem Alltag einer Bremer Dorfschule 1910-1960“ arbeitet die Geschichte und den Werdegang der heutigen Kirchhuchtiger Grundschule auf. Auch wenn der Impuls von dem überaus aktiven Förderverein dieser Schule ausgeht, in dem sich ehemalige Schüler und Lehrer zusammengefunden haben, die sich offensichlich mit der alten Schule stark identifizieren, für die Forscherin Martina Käthner kann noch etwas anderes entstehen, als der erinnernde Blick zurück: Anläßlich des historischen Rückblicks stellen sich Fragen neu, rückt manches in ein neues Licht und es deuten sich gar neue Einsichten an. Wie verhält es sich mit dem Prügeln und Strafen in der Schule? Welche Erfahrungen brachte um 1900 die gemeinsame Erziehung von Jungen und Mädchen in der vierklassigen Dorfschule?

„In den bislang 12 Einzelgesprächen mit älteren Leuten, die 1928-33 zur Schule gingen, kommen Dinge zutage, die in den Akten des Staatsarchives kaum zu finden sind.“ Authentizität, findet Martina Käthner, ist der Vorteil ihrer Herangehensweise.

Disziplinarprobleme, so stellt sich heraus, sind kein neues Thema, nur wurden sie früher anders gelöst. Haftet den Vergehen der Halbstarken von 1920 noch ein gewisser Frischluftcharkter an, sie ließen sich etwa beim Ausnehmen von Vogelnester erwischen, so sind die Antworten darauf lange uniform geblieben: Prügel und Stockschläge. Nur das System war differenziert, entweder „rutschte“ dem Lehrer nur „die Hand aus“, oder es kamen drei Stöcke zur Anwendung: der schmale, den der Lehrer immer im Ärmel hatte, der stärkere, der im Klassenschrank eingeschlossen war oder gar der große Stock, der beim Direktor stand. Hier mußte man sich die Schläge abholen, eine demütigende Prozedur, deren physische Schmerzen die Opfer durch einen Trick zu mildern suchten: sie stopften sich Papier in den Hosenboden,- als Isolationsmaterial.

Es zeigt die Befragung der Zeitzeugen, daß unter den KollegInnen die Leherinnen ihren Unterricht ohne Prügel zu führen wußten. Auch sonst weist die Schule Kirchhuchting einen interessanten Unterschied in der geschlechtsspezifi-schen Pädagogik auf. In den Stadtschulen gab es bis nach 1945 Verweigerung von Koedukation. Bis vor kurzem stufte man das als Benachteiligung für die Mädchen ein. So stellte sich die Frage in der Dorfschule gar nicht, denn unterrichtet wurden in den kleinen Räumen die wenigen Schüler eh gemeinsam.

Hier stellen sich Besonderheiten heraus, die nur Einzeluntersuchung, wie die von Martina Käthner, erbringen. Trotzdem strebt auch diese Schulgeschichte Vollständigkeit an. Erzielt könnte dies werden, wenn noch weitere Interviewpartner, die etwa in den Jahren 1933-45 in Kirchhuchting zur Schule gegangen sind, sich zur Verfügung stellten. Über die Buchveröffentlichung hinaus beabsichtigt die Forscherin nämlich gemeinsam mit ihrer Kollegin, Ute Koszin von der Medienwerkstatt, einen Film zu drehen, der sich mit der Veränderung des Schulalltags im Nationalsozialismus beschäftigt.

Susanne Raubold

Zum Filmprojekt gibt es erste Treffen am 15.9 und 22.9. um 16.30 Uhr in Kulturladen Huchting und Informationen unter: 570293.