: Erst Rüstungslieferungen, dann Nato-Beitritt?
■ Osteuropäische Staaten sollen US-Waffen zu günstigen Konditionen erhalten
Berlin (taz) – Drei mitteleuropäische Staaten, Polen, Ungarn und Tschechien, könnten bei der Rüstungszusammenarbeit mit den USA sehr bald den Nato-Staaten gleichgestellt werden. Mit 76 zu 22 Stimmen hat in der vergangenen Woche der US-Senat im Rahmen der außenpolitischen Haushaltsgesetzgebung für 1995 dem sogenannten „Nato-Partizipations-Gesetz 1994“ zugestimmt, das den drei Staaten viele Privilegien zugesteht, die bislang ausschließlich für Nato-Staaten und gleichgestellte Länder gelten. Dazu gehören
– die Möglichkeit der Abgabe und Lieferung überschüssigen US- Verteidigungs- und Rüstungsmaterials;
– das Verleihen und Verleasen von US-Großwaffensystemen;
– das Verleihen und Verleasen von Ausrüstungen für militärische Forschungsvorhaben
– sowie die Einbeziehung in Vorhaben zur Standardisierung der Ausrüstung nach Nato-Standards.
Um endgültig Gesetzeskraft zu erlangen, muß das Vorhaben der Senatoren Brown und Simon jetzt noch vom gemeinsamen Ausschuß der beiden Häuser des Parlaments gebilligt werden. Politische Beobachter sehen dies als lediglich formale Hürde. In Kraft getreten, läßt das Gesetz zu, daß die USA die Anpassung der Bewaffnung der osteuropäischen Streitkräfte an Nato-Standards durch kostenlose oder verbilligte Lieferungen von US-Militärgütern – zum Beispiel aus den Überschüssen der amerikanischen Streitkräfte in Europa – erheblich beschleunigen.
Auf heftige Kritik stieß der Beschluß in der Slowakischen Republik, die als einziges Mitglied der mittelosteuropäischen Visegrad- Gruppe in das Gesetz nicht mit einbezogen wurde. Dringlich forderte sie Gleichbehandlung. Scharfe Kritik gab es aber auch in den USA selbst. So machte der demokratische Senator Leahy darauf aufmerksam, daß das Gesetz es erlaube, „Waffen in Osteuropa loszuwerden“. Daniel Plesch, Direktor der liberalen Forschungseinrichtung „Basic“, argumentierte unter Verweis auf regionale Instabilitäten wie die Probleme um die ungarischen Minderheiten: „Waffen in instabile Regionen zu verschieben ist einfach keine sinnvolle konfliktverhütende Maßnahme.“ Statt Stabilität zu fördern, könnte ähnlich wie im Falle Griechenland – Türkei durch die US-Rüstungslieferungen „ein regionaler Rüstungswettlauf ausgelöst werden“.
Griechenland und die Türkei bekommen seit Jahrzehnten von den USA Rüstungshilfe in Milliardenhöhe. In den Jahren 1992 und 1993 erhielt die Türkei beispielsweise 1.509 Schützenpanzer, 489 gepanzerte Kampffahrzeuge und 147 schwere Geschütze von den USA. Auch wenn es gegen vergleichbar umfangreiche Lieferungen an die mittelosteuropäischen Staaten noch starke politische Widerstände in der US-Administration geben sollte, so wird sie sich Forderungen nach militärischer Unterstützung für diese Staaten unter den Kautelen der neuen Gesetzgebung nur schwer entziehen können. Die Clinton-Regierung war es nämlich, die im Rahmen der „Partnerschaft für den Frieden“ die Forderung aufstellte, die mittelosteuropäischen Staaten sollten ihre Rüstungstechnik westlichen Standards anpassen. Bereits heute werden Ungarns Kampfflugzeuge mit Freund-Feind-Kennsystemen aus den USA ausgestattet; die Integration ihrer Luftverteidigungssysteme in die der Nato gehört für Polen, Ungarn und Tschechien zu den vorrangigen Forderungen. Westliche Rüstungstechnik steht auch wegen der politischen Bindewirkung ganz oben auf der Wunschliste.
Aus Sicht der Initiatoren des Gesetzes reicht dessen politische Stoßrichtung jedoch weiter. Sie werfen Clinton Untätigkeit in der Frage der Nato-Erweiterung vor: „Nötig ist eine Politik, die Polen, Ungarn und die Tschechische Republik vom Verhandlungstisch wegholt und sie dorthin stellt, wo sie hingehören: in die Sicherheitsstrukturen der Nato.“ Die Schlußpassage des Gesetzes fordert den Präsidenten deshalb auf, es zum geeigneten Zeitpunkt auf all jene Staaten auszudehnen, die binnen fünf Jahren in der Lage sein könnten, „die Prinzipien des Nato-Vertrages“ zu befördern und „zur Sicherheit des nordatlantischen Raumes beizutragen“. Mit diesen Formulierungen beschreibt die US-Administration in der Regel die Bedingungen für einen Nato- Beitritt osteuropäischer Staaten. Otfried Nassauer
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