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Der Boden - ignorierter Ausbeutungsfaktor

■ Grundeigentümer zocken Milliarden ab - mittels der Rente und durch den Wertzuwachs des Bodens / Andere große Städte in der Welt lösen das Bodenproblem anders als Berlin: Da kaufen ...

Vor wenigen Jahren konnten sich noch alle Berliner Bürgerinnen und Bürger als die stolzen Eigentümer der besonders wertvollen Grundstücke am Potsdamer Platz, Unter den Linden und an der Friedrichstraße betrachten – bis ihre „Volksvertreter“ ihr Volkseigentum ungefragt an private Geldanleger verscherbelten. Diese Privatisierung öffentlichen Eigentums unterstützt die extrem leistungsungerechte Einkommensverteilung, die auf der Unvermehrbarkeit des Boden beruht. Dieses allen Menschen zustehende Naturprodukt verschafft wenigen Eigentümern eine unverdiente Rente und einen zusätzlichen Gewinn, weil der Wert des Bodens steigt.

In der Zehn-Millionen-Stadt Tokio kostet mancher Quadratmeter Boden bereits eine halbe Million Mark. Aber selbst im 250.000 Einwohner zählenden Zürich werden heute an der Bahnhofstraße um 300.000 DM für den Quadratmeter geboten. Das heißt, daß dort jeder Quadratmeter dem Eigentümer eine Grundrente von etwa 10.000 bis 12.000 Mark im Jahr garantiert. Da im Zentrum des zehnmal so großen Berlin in einigen Jahren eine mindestens ebenso hohe Rente zu erwarten ist, bedeutet das, daß dem hochverschuldeten Bund allein durch den Verkauf seiner rund 4.000 qm großen Goldgrube an der Prachtallee Unter den Linden an die Deutsche Bank Einnahmen von etwa 45 Millionen Mark im Jahr entgehen werden.

Wesentlich gigantischer ist die Summe, auf die die Berliner Landesregierung verzichtet. Wenn auch die insgesamt 93.410 qm goßen Filetstücke am Potsdamer Platz, die sie an Daimler und Sony verramscht hat, nicht ganz so günstig liegen wie Unter den Linden, werden auch sie eines Tages den Wert der Zürcher Bahnhofstraße erreicht haben. Dann werden die neuen Eigentümer eine Jahresrente von einer Milliarde Mark abzocken. Hinzu kommt der Wertzuwachsgewinn des Bodens, auf den vor allem die Spekulanten scharf sind. Wenn das Grundstück Unter den Linden, ohne Gebäude für etwa 300 Millionen Mark erworben, das Zürcher Cityniveau erreicht haben wird, dann werden die Aktionäre der Deutschen Bank dort Boden im Wert von 1,2 Milliarden besitzen und allein aus seinem Wertzuwachs einen Gewinn von 900 Millionen einfahren – das Dreifache des Kaufpreises. Wenn die Bodenwertsteigerung auch am Potsdamer Platz das Zürcher Bahnhofstraßenniveau erreicht hat, dann wird das 61.710 qm große Grundstück, das die Daimler-Aktionäre für popelige 1.505 DM/qm, also für insgesamt 92,6 Millionen, fast geschenkt bekamen, 18,51 Milliarden DM wert sein – das 200fache des ursprünglichen Kaufpreises! Statt öffentlichen Boden zu verkaufen, hat die Stadtverwaltung von Stockholm dort fast den gesamten Boden aufgekauft und an die Nutzer verpachtet. Da die Pacht nicht auf Mieter und Konsumenten abwälzbar ist, verlieren die Nutzer, vorwiegend Hauseigentümer, die Einkünfte aus dem Bodenzins an die Gemeinde. Diese Möglichkeit der Grundrentenabschöpfung würde auch das deutsche Erbbaurecht zulassen, wird aber – obwohl 1991 im Abgeordnetenhaus auf Antrag der Fraktion Bündnis90/Grüne/UFV mit Zustimmung aller Parteien beschlossen – nicht genutzt.

In Dänemark werden im Sinne des amerikanischen Bodenreformers Henry George seit den zwanziger Jahren mittels einer durchgefeilten Bodenwertsteuer die Grundrenten zu Gunsten der Gemeinden abgeschöpft. Anders als in der Bundesrepublik, wo nach jahrzehntealten und somit viel zu niedrigen Bodenwertbemessungen eine Grundsteuer erhoben wird, wird in Dänemarkt der Bodenwert alle vier bis fünf Jahre neu festgesetzt. In Kopenhagen werden von diesem Wert heute fünf Prozent als Steuer erhoben, in Frederiksberg 3,6 Prozent und in anderen Gemeinden zwischen 0,5 und 1,7 Prozent. Die Folge ist, daß die Bodenspekulationen und die Baulücken fast vollständig verschwanden, der Wohnungsbau stimuliert und das Kleinbauerntum gestärkt wurden.

Auch in anderen Ländern mit einer Bodenwertsteuer sind die Auswirkungen ähnlich. In jenen australischen Gliedstaaten, wo die Abschöpfung der Grundrente am konsequentesten durchgeführt wird, sind sogar die Löhne der Industriearbeiter und die Kaufkraft der Konsumenten besonders hoch. In Taiwan beendete die Wertsteuer im Zusammenwirken mit einer Wertzuwachssteuer die Ausbeutung der Pachtbauern durch die Großgrundbesitzer und förderte die industrielle Entwicklung.

Silvio Gesell, der Urvater des Prenzlberger Knochengeldes, wollte den gesamten Boden einem Bund der Mütter zueignen. Er soll ihn verpachten und den Zins als Kinderrente verwenden. Dann bekäme heute jedes Kind bis zum 18. Lebensjahr etwa 600 Mark im Monat, zusätzlich zu den übrigen Beihilfen. Damit wollte Gesell die Kinder und ihre Mütter von der materiellen Abhängigkeit von den Vätern und vom Staat entlasten. Klaus Schmitt

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