: Begegnung zweier tänzerischer Sprachen
■ „Pour Antigone“ von Mathilde Monnier beim Sommertheaterfestival auf Kampnagel
Leer ist die Bühne und umgeben von Wellblech. Unter dem Gerippe einer Stehlampe hockt ein Mädchen, ihr gegenüber sitzt eine Tänzerin auf einer ausrangierten Autorückbank. Abwechselnd fallen sie in rhythmischen Sprechgesang, die jeweils andere nimmt den Sprachrhythmus auf in traditionell afrikanischen Tanzformen. Drei Tänzerinnen erobern sich den leeren Bühnenraum, dann wieder sitzt das Mädchen allein auf dem Boden und scheint mit den Händen Staub oder Sand zusammenzuschieben, um wie Antigone den toten Bruder Polyneikes mit Staub zu bedecken. So beginnt Pour Antigone, die Choreographie der Französin Mathilde Monnier. Gemeinsam mit ihrer Compagnie de Hexe und Tänzerinnen und Tänzern aus Burkina Faso entwickelte Monnier ihr interkulturelles Projekt, das nun beim Internationalen Sommertheater zu sehen ist.
Eindeutige Bezüge zum klassischen Stoff der Antigone, der Trauernden, die ihren Bruder gegen den Willen des Königs Kreon in Würden vor den Toren Thebens beerdigen will und dafür mit dem (Frei-) Tod bezahlt, lassen sich nur wenige finden. Monnier nahm den Antigone-Mythos als Reaktionsfläche für eine temporeiche und bilderstarke Choreographie, in der sich die tänzerischen Ausdrucksweisen Europas und Afrikas in einem gleichberechtigten Dialog wiederfinden. Die Rollen wechseln zwischen den zehn schwarzen und weißen Tänzerinnen und Tänzern. Mal scheint eine Tänzerin mit Augenklappen als blinder Seher Teiresias die Bühne abzuschreiten, ein anderes Mal kämpfen ein weißer und ein schwarzer Tänzer um einen aus drei Stühlen zusammengeschobenen Thron, oder ein weißer Tänzer rückt mit kleinen Holzsoldaten strategisch gegen die am Boden liegenden schwarzen Tänzer vor, ein Bild, das Bezüge herstellt zur aktuellen Situation in Afrika. Wie Sargdeckel lassen sich mannsgroße Klappen im hölzernen Bühnenboden öffnen, und davor vollführt das interkulturelle Ensemble trauernd-wütende Tänze von Trotz und Schmerz. Kaleidoskopartig setzen sich die Bilder aus dem Mythos zu etwas völlig Neuem zusammen, und Pour Antigone entwickelt sich zu einer weiten Projektionsfläche.
jkn
Noch heute, Halle 6, 20.30 Uhr
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