: Abgezappt
■ Jedem TV-Abend vorzuziehen: „Rough“ von Michael Laub beim Sommertheater
Rough ist eine Produktion des in Belgien geborenen Regisseurs Michael Laub und seiner schwedischen Projektgruppe Remote Control. Als work-in-progress, als Zustandsbeschrei-bung in losen, unstrukturierten Szenen, schildert Laub den Ablauf von Tanz- und Theaterproben einer kleinen Schauspieltruppe.
„Rough“ sind auch die Bedingungen, unter denen die Proben stattfinden, denn Geld und Motivation der Darsteller sind knapp. Drei Frauen, nur von weißen Badetüchern umschlungen, staksen auf die Bühne. „Die Szenen sind nicht in der richtigen Reihefolge und wir haben nicht mal was anzuziehen“, bemerkt eine von ihnen kühl.
Dennoch schnappen die Unentwegten nach Rudimenten des En-tertainments und beginnen scheinbar gleichgültig mit den Proben.
Das Einstudieren von Tanzschritten und „soap opera“-Dialogen wird mit distanzierter Gelassenheit vollzogen, ständig unterbrochen von Erzählungen und persönlichen Bühnenerfahrungen einzelner Schauspieler. Die Diva der Truppe sieht sich in einer schwülstigen Oper in die „großen Baritonarme“ des Helden sinken, ihre schüchterne Kollegin gibt bereits Interviews und träumt von der Oscar-Verleihung.
Überhaupt ist ständig alles eine Nummer zu groß für die überforderten Akteure: Sie plagen sich mit den hohlen Liebesschwüren ihrer Dialoge ebenso herum wie mit ihren Beziehungen untereinander, sie wollen eine großartige Produktion und sind doch überzeugt, nie über eine Rohfassung hinauszukommen. Aus diesem Dilemma gewinnt Rough seine Spannung.
Die sprunghafte Szenenfolge scheint dem Prinzip der Beliebigkeit unterworfen, aber tatsächlich hat Regisseur Laub seinem Stück ein exaktes Timing verordnet. Sein Bekenntis, „mit laufendem TV“ aufgewachsen zu sein, bestimmt die Dramaturgie: Immer dann, wenn es nichts mehr zu sagen gibt, wenn eine Situation erschöpft ist, wird umgeschaltet. Das Ensemble Remote Control ist dabei die Fernbedienung des Publikums, das von einer Szene zur nächsten gezappt wird.
So ist auch Rough ein scheinbar endloser Kreislauf ohne Höhe- und Endpunkte. Doch das minimalistische Konzept seziert mit groteskem Witz die Gegensätze zwischen Fiktion und Realität, zwischen großem Gefühl und gewöhnlicher Alltäglichkeit. Und ist deshalb jedem Fernsehabend vorzuziehen.
Björn Ahrens
Noch heute abend, 21.30 Uhr, Halle 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen