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Erfolg für Hinz + Kunzt

■ Schon die 1.111.111. Zeitung verkauft / Obdachlose im Sommer stärker gefährdet

„Hinz und Kunzt“, Deutschlands erste Obdachlosen-Zeitung, hat die Millionengrenze überschritten. Die 1.111.111. Zeitung wurde am Freitag in der Hamburger City verkauft. Waldtraut Dalmer (64) erhielt zur aktuellen August-Ausgabe noch eine Sonnenblume als Geschenk. Daß es eine Frau traf, ist kein Zufall: Drei Viertel aller „Hinz-und-Kunzt“-Leser sind nach einer Media-Analyse weiblich und darüber hinaus überdurchschnittlich gebildet. Verkäufer war Mario Kähler (20), ein ehemaliger Schausteller, der seit den Anfängen der Zeitung dabei ist.

Nach wie vor ist jeder Verkäufer von „Hinz und Kunzt“ obdach- oder wohnungslos. Daß viele von ihnen äußerlich dem gängigen Bild eines Obdachlosen nicht entsprechen, führt Chefredakteur Ivo Banek vor allem auf die Arbeit mit der Zeitung zurück. Zwar werde auch heute noch manche Mark in Alkohol umgesetzt; viele würden jedoch die Chance wahrnehmen, sich „in einem richtigen Geschäft“ neu einzukleiden. Innerhalb weniger Wochen sei bei den meisten Verkäufern eine „radikale Veränderung“ sichtbar. Auch ein regelmäßiger Schwimmbad-Besuch sei drin. Von dem Verkaufspreis von 1.50 Mark behält der Verkäufer eine Mark.

Entgegen landläufiger Meinung, so Banek, ist der Sommer für Obdachlose gefährlicher als der Winter. Rowdys und Skins seien im Sommer wesentlich angriffslustiger als an kalten Tagen. Viele Obdachlose würden darüber hinaus im Frühling und Sommer ihre Isolation und Einsamkeit stärker empfinden. Manch einer würde dann seinem Leben ein Ende setzen.

Derzeit arbeiten neun feste Mitarbeiter für „Hinz und Kunzt“. Die August-Ausgabe der Obdachlosenzeitung wird in einer Auflage von 120.000 erscheinen. Der Rückgang gegenüber den sonst üblichen 150.000 liegt in erster Linie an den fehlenden Verkäufern: In den Sommermonaten haben Obdachlose auch andere Möglichkeiten, sich „durchzuschlagen“. epd

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