■ Leichtathlethik-WM geht zu Ende: Berlin hat sich blamiert
„So allmählich verliere ich meine Berührungsängste“, murmelte der Kollege beim Durchblättern der Prothesen-Kataloge. Außer den Journalisten dürfte die Leichtathlethik-Weltmeisterschaft der Behinderten, die am Sonntag zu Ende geht, nur noch den Bundeswehrsoldaten Aha-Effekte beschert haben. Enge Kontakte konnten sie vor allem zu den spanischen Sportlern knüpfen, die sie häufiger die Kasernentreppen rauf- und runtertragen mußten, weil die Notunterkunft nur einen Aufzug hatte. Die anderen BerlinerInnen ließen sich die Chance entgehen, Berührungsängste abzubauen. Nun soll sich keiner damit herausreden, es sei einfach zu heiß gewesen. Während der Fußball-Weltmeisterschaft herrschte auch brüllende Hitze und dennoch waren die Stadien voll. Hier liegt der feine Unterschied: Die Organisatoren haben verkannt, daß Behindertensport kein Publikumsmagnet ist. Es hätte einer besonders intensiven PR-Kampagne bedurft, um die Zuschauer ins Olympiastadion zu locken. Statt dessen wurde zu spät und zu spärlich für die Veranstaltung geworben.
Berlin ist nicht Barcelona, wo bei den Paralympics täglich 35.000 Zuschauer für Stimmung im Stadion sorgten. Dort herrschten ganz andere Voraussetzungen: Alle Einwohner Barcelonas bekamen mit der Telefonrechnung eine Eintrittskarte, und da viele keine Karten für die Olympischen Spiele hatten ergattern können, kamen sie auch aus Neugier auf das neue Stadion. Sie entdeckten, daß ihnen spannender Sport geboten wurde und kamen wieder.
Die deprimierende Zuschauerpleite ist auch eine Quittung für die Berliner PolitikerInnen, die glaubten, mit dem internationalen Sportereignis Imagepflege in einer wenig behindertengerechten Stadt betreiben zu können. Sie sind verantwortlich dafür, daß zu wenig Vorbereitungszeit bleib: Im März 1992 erhielt Berlin den WM- Zuschlag, die Gelder wurden erst im Winter 1993 bewilligt.
Was bleibt? Die einzige Errungenschaft für Behinderte ist ein Aufzug am U-Bahnhof Ruhleben. Alle anderen Umbauten werden wieder rückgängig gemacht. Angesichts dieses Debakels hätte man den Senatszuschuß von 2,2 Millionen Mark besser in den Behinderten-Breitensport stecken sollen. Dorothee Winden
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