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Zur Oper serviert der Butler Lachsschnittchen

■ In Sussex zelebrieren traditionsbewußte Briten auf englischem Rasen auch in diesem Sommer Europas exzentrischstes und romantischstes Mozart-Festival

Manche bringen sogar ihren Butler mit. Wolldecken, Gartenmöbel und der Picknickkorb mit Lachsschnittchen und Champagner gehören sowieso zur Grundausstattung für das britische Opern-Völkchen in Glyndebourne. In den South Dawns von Sussex findet Europas exzentrischstes, romantischstes und traditionellstes Festival für Mozarts musikalischen Nachlaß statt. „Eine Verschmelzung von Theater und Musik vor einem entzückenden romantischen Hintergrund“, das sind die Festspiele von Glyndebourne für den Londoner Ronnie Jellal: „Ich weiß, daß wir exzentrisch sind. Vergessen Sie doch einmal Wirtschaftskrise und Rezession. Wir Engländer haben auch ,savoir vivre‘.“

Eleganz und Raffinement, Habhaftes im Picknickkorb, der in den langen Pausen auf dem feingeschnittenen englischen Rasen vom hauseigenen Butler geöffnet wird – Glyndebourne ist ein Spiegelbild für die republikanischen Briten, die es gewohnt sind, in einer Monarchie zu leben. In Sussex mag man keine Revolutionen – weder beim Picknick noch auf der Opernbühne. Hans-Joachim Nimtz aus Frankfurt, seit den sechziger Jahren Mitglied im exklusiven Glyndebourne-Club, hatte in diesem Jahr leichte Bedenken. Zum zweiten Mal seit 1934 ist das private Opernhaus erweitert worden. 1.200 Plätze bietet jetzt der Neubau, vierhundert mehr als vorher. Jetzt ist Nimtz erleichtert: „Die ganze Stimmung bleibt intim und qualitätsvoll wie immer. Musiker und Sänger sind sowieso schon die Besten, die es gibt, und mit dem neuen Saal ist sogar die Akustik noch besser geworden.“

Sir John Christie, Gründer der Festspiele, der sich auch bei mondänen Abendessen nicht scheute, sein Glasauge auf die Tafel zu legen, dürfte zufrieden sein mit dem, was seine Nachfolger aus der spleenigen Idee, für seine junge Frau ein Opernhaus zu bauen, gemacht haben. Glyndebourne ist zur britischen Antwort auf die Salzburger Festspiele geworden. Dirigent Fritz Busch, vor den Nazis auf die Insel geflüchtet, hat John Christie davon überzeugt, auf Richard Wagner zu verzichten und stattdessen auf Mozart zu setzen. Dessen „Hochzeit des Figaro“ läutete auch in diesem Sommer das neue Zeitalter im frischgebauten runden Saal ein. Die Geburtstags-Inszenierung blieb konventionell. Dazu gehört auch das Abspielen von „God save the Queen“, bevor sich der erste Vorhang hebt.

In Sussex braucht Neues Zeit, um Fuß zu fassen. Regisseurin Deborah Warner, die in diesem Monat in der Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ die Sängerinnen wie in einer Disco tanzen ließ, wurde erbarmungslos ausgepfiffen. Glyndebourne wird deswegen nicht untergehen, Graham Vick, jetzt für die Produktionen verantwortlich, die in einer zweiten Besetzung über die Insel touren, will das Repertoire ausweiten. Strawinskys „The Rake's Progress“, 1975 vom Maler David Hockney eingerichtet, steht auch 1994 wieder auf dem Programm. Für 1996 ist sogar die Rückkehr von Händel geplant – inszeniert und dirigiert von den beiden Amerikanern William Christie und Peter Sellars. „Shocking“ wird es dann heißen, wenn der Butler die Lachsschnittchen aus dem Picknickkorb angelt. Sarah Webb, Glyndebourne

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