■ Ökolumne: Tempo für Verkehrsminister Von Ute Scheub
Und nun ist wieder die Zeit, wo die Rotzfahnen wehen. Draußen glüht der schönste Sommer, und drinnen in Hunderttausenden von Krankenstuben glühen entzündete Augen, triefende Nasen, rote Rachenräume. Im Kindergarten ist fast die Hälfte der Kleinen krank, mein eigener Sohn inklusive, der sich bei seinen schniefenden und triefenden Eltern angesteckt hat, meinem Nachbarn kratzt es heftig im Hals, meine Nachbarin ringt atemlos mit jeder Treppenstufe, wenn sie nach Hause kommt. Zufall?
Nein. Die hohen Ozonwerte sind zwar nicht an jeder einzelnen Erkältung schuld, aber sie sorgen dafür, daß die Menschen ein leichtes Opfer von Viren und Allergien werden. Schon ab 100 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft sorgt das Ätzgas für Kopfschmerzen und ab 200 für Entzündungen in den Atemwegen oder den Augen, ab 300 steigen zudem Asthma- und andere allergische Anfälle rapide an. In Norddeutschland sind Konzentrationen von über 150 längst Alltag geworden, während in vielen Orten Süddeutschlands derzeit gar bis zu 300 Mikrogramm gemessen werden.
Vor allem für die Kinder wird das Wetter zum Dauerhorror. Nicht nur, weil sie unter der andauernden Gasattacke noch weit mehr leiden als Erwachsene: Schon ab 140 Mikrogramm werden ihre Lungen massiv beeinträchtigt. Sondern auch, weil sie nun bald zum ganzjährigen Stubenarrest verurteilt werden: Der Wintersmog wird beinah übergangslos vom Sommersmog abgelöst. Und wer mit seinen Kleinen schreiend davonlaufen und ins Grüne flüchten will, wird erneut bestraft: Dort sind die Ozonwerte noch höher.
Und wo bleiben die Proteste, die Blockaden, die Demonstrationen? Aber nicht doch, jeder bleibt allein in seiner heißen Stube. Leise triefelt der Rotz in ein Hügelchen von zerknüllten, garantiert chlorfrei gebleichten Papiertaschentüchern.
Wir Eingeborenen dieses smogigen Gefildes tragen im kisuahelisprachigen Tansania nicht zufällig den Spitznamen „Wabenzi“ – die Benzler. Von außen betrachtet, ist das Volk der Raser und Lenker vollkommen verrückt geworden. Unser Land haben wir mit einer fast unauflösbar gewordenen Schicht aus Beton, Dreck, Gift und Lärm überzogen. Im Süden des einzigen Staates weit und breit, der keine Geschwindigkeitsbegrenzung auf seinen Autobahnen kennt, ist schon im letzten Jahr europaweit mit die höchste Ozonbelastung gemessen worden.
Also: Die Menschen mit den vier Rädern unten dran müssen sich selbst an die verrotzte Nase fassen. Aber: Nicht zuletzt die Einhaltung des Tempolimits durch rund 80 Prozent aller hessischen AutofahrerInnen nach Ausrufung des regionalen Ozonalarms zeigt doch deutlich, daß die BürgerInnen – wie schon in der Atom- oder der Nachrüstungsfrage – ihren angeblichen RepräsentantInnen in Bonn auch bei diesem Thema ein ganzes Stück voraus sind. Doch Geschwindigkeitsbegrenzungen – zum Beispiel von Tempo 100 auf der Autobahn, 60 auf Landstraßen und 30 in der Stadt, und das nicht nur zur Sommerzeit, sondern immer – sind den „Wabenzi“ in der Regierung offenbar ein schlimmerer Alptraum als keuchende Kinder.
Aber vielleicht können wir da ein wenig nachhelfen? Wütende Ozongegnerin mit Rotznase sucht Bürgerinitiativen und einzelne MitmacherInnen zur Realisierung einer Idee: Sämtliche Schnupfen-, Husten- und Allergiekranke dieser Republik schmeißen ihre vollgerotzten Taschentücher nicht mehr länger weg, sondern schicken sie, versehen mit einem Protestbrief, an den Bundesverkehrsminister, Robert-Schumann-Platz 1, 53175 Bonn.
Wenn die Grippe länger andauert, kann die nächste Sendung auch an den jeweiligen Länderverkehrsminister gehen. Innerhalb kürzester Zeit wären die Ministerien so verstopft wie unsere traktierten Atemwege. „Stoppt ihr nicht das Tempo, kriegt ihr weiter unsere Tempos“ könnte die Kampagne lauten. In Kurzform: „Tempo? Tempos!“. Oder volkstümlicher formuliert: „Hier kriegt ihr euren Rotz zurück“!
(Aber bitte mit Einschreiben und Rückschein, fordert die Säzzerin)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen