: Von Räumung bedroht
■ Straßenfest aus Protest: 70 BesetzerInnen rechnen ab heute mit Vertreibung aus den Häusern Marchstraße/Einsteinufer
Bereits im Juli 1989 versuchte der damalige Senat die BewohnerInnen der besetzten Häuser in der Charlottenburger Marchstraße 23 und am Einsteinufer 41 zu räumen. Trotz eines entsprechenden Antrags des Hauseigentümers, der Henning von Harlessem & Co GmbH, scheiterte der Versuch. Die HvH hatte schon 1988 versucht, die Besetzung der Häuser zu verhindern, indem sie diese durch das Zerschlagen der Fenster und Öfen in einen abrißwürdigen Zustand versetzt hatte.
Dessenungeachtet erreichten die über 70 Besetzer und Besetzerinnen, was weder Senat noch Wohnungswirtschaft fertiggebracht hatten – billigen und lebenswerten Wohnraum zu schaffen.
Doch damit soll nun Schluß sein. Nach einem dreijährigen Räumungsprozeß haben die Eigentümer, ein undurchsichtiges Firmenkonglomerat mehrerer Briefkasten-GmbHs, von der 61. Zivilkammer des Berliner Landgerichts sechs Räumungstitel gegen BewohnerInnen des Hauses am Einsteinufer zugesprochen bekommen. Vollstreckbar ab 1. August.
Die Henning von Harlessem GmbH, hinter der sich nach Angaben der Besetzer eine Gruppe stadtbekannter Spekulanten verbirgt, die in jüngster Zeit mit dem geplanten Bau von Golfplätzen in Mecklenburg-Vorpommern sowie der Räumung und dem Abriß einer Kleingärtnerkolonie in Neukölln von sich reden machte, plant auf dem Gelände Marchstraße/ Einsteinufer den Bau eines Bürogebäudes mit Computerzentrum für die Technische Universität.
Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als ob die Charlottenburger Bezirksverordnetenversammlung die BesetzerInnen unterstützen würde. Aber um die Spekulanten am Abriß zu hindern, hätte die Abrißgenehmigung für die beiden Häuser nicht verlängert werden dürfen. Der Charlottenburger Baustadtrat Dyckhoff (SPD) tat das zwar zunächst, aber nur für kurze Zeit. Als die Henning von Harlessem & Co GmbH ihm einen Prozeß androhte, verlängerte er die Abrißgenehmigung doch wieder.
Nun sehen die Besetzer dank der unentschiedenen Haltung der Bezirksparlamentarier der Obdachlosigkeit entgegen. In anderen Berliner Bezirken haben Sozialstadträte bereits Wohnraum beschlagnahmt, um Obdachlosigkeit zu vermeiden. Der Charlottenburger Sozialstadtrat Meier erklärte den Besetzern indes, er sei für die Beschlagnahmung von Wohnraum nicht zuständig. Statt dessen bietet er den vom Rauswurf Bedrohten die Unterbringung in Läusepensionen an. Finanzierung der Obdachlosigkeit, damit die Eigentümergesellschaft Wohnsubstanz vernichten kann?
Die BesetzerInnen wehren sich mit Demos und Kundgebungen. Unter dem Motto: „70 Obdachlose sind ein Skandal – Abrißgenehmigungen zurücknehmen!“, veranstalteten sie am Sonntag ein Straßen- und Kinderfest mit Live-Musik, in dessen Rahmen sie auf die drohende Räumung aufmerksam machten.
Hermann, einer der Besetzer, der schon von Anfang an im Haus Marchstraße lebt, sagte der taz gegenüber: „Wenn hier geräumt wird, sitze ich auf der Straße! Es wird allerhöchste Zeit, daß diese Spekulanten enteignet werden.“ Peter Lerch
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