Deutschland anonym: „Ich will nicht auf die Couch“
■ Warum eine gestandene Maklerin ganz verrückt nach Boris B. war
Wie ist es eigentlich, wenn...
Ich weiß, was Sie von mir wollen. Ich hab' nichts zu sagen.
So beruhigen Sie sich doch.
Die Sache ist vorbei, abgeschlossen, endgültig aus, ich hab' nichts mehr damit zu tun.
Jahrelang sind Sie kreuz und quer über den Globus zu Tennisturnieren gereist – immer auf den Spuren von Boris Becker und...
... ich wollte nah bei ihm, da sein, wo er ist. Ich war eine Getriebene.
Laut ihrem Ex-Mann „ein völlig hoffnungsloser Fall“.
Wenn ich bedenke, daß die Beziehung zu Hubert wegen Boris in den Arsch ging, könnte ich schreien vor Wut ... aber egal.
Sie klingen verbittert.
Soll ich mich freuen, jubeln gar? Ich will gar nicht wissen, wer ich damals war. Ich litt mit Boris, hab' mich mit dem Kerl sinnlos gefreut. Alles andere war mir wurscht. Jahrelang ging das so. Die Tage um Wimbledon waren immer besonders schlimm: Ich hab' nicht gepennt vor Aufregung, hab' mir die Nägel zerkaut, runter bis ans Bett – was dann bei Geschäftsverhandlungen saupeinlich war. Da ging es oft um Hunderttausende, um Millionen Mark. Und da saß ich, die erfolgreiche Geschäftsfrau, im korrekten Business-Suit – mit runtergekauten, zerstümmelten Nägel. Würden Sie so jemand trauen?
In diesen Kreisen bewege ich mich nicht.
Sie ist 41 Jahre alt, Maklerin, und sie lebt im Rheinland. Acht Jahre lang jettete sie gut 60mal kreuz und quer über den Globus, von Tennisturnier zu Tennisturnier – immer auf den Spuren von Boris Becker. Sie wollte „nah bei dem Kerl“ sein. Hunderttausende hat sie das Anhimmeln gekostet – ziemlich fassungslos blickt die Geschäftsfrau auf diese Zeit zurück.
Ich sage Ihnen, wenn Sie da Erfolg haben wollen, gilt nur eins: Mehr sein durch Schein. Aber ich hab' gegen alle Regeln verstoßen, bin ja auch immer wieder abgetaucht, war tage-, manchmal wochenlang weg, mußte ja nach Melbourne, Miami oder einfach Kitzbühel ...
Aber damals fanden Sie es „große Klasse, aus dem Alltagstrott“ rausgerissen zu werden.
Ja, schon, aber ich war nicht Herrin meiner Sinne. Ich war ein Junkie. Doch wenn ich jetzt zurückblicke: Die Frau von damals kenne ich nicht. Da ist ein schwarzes Loch. Ich krieg' nicht raus, was mich trieb.
Ich kann's Ihnen in Ihren Worten sagen: „Seine Augen – so stark, so verletzlich“ – dem hätten Sie nicht widerstehen können.
O Gott, ich kann das gar nicht mehr hören. Im Blick zurück ist dieser 7. Juli 1985 ...
... als Becker zum ersten Mal Wimbledon gewann ...
... mein Unglückstag: Ich sah damals diesen blonden Jungen, der die Arme in die Höhe riß, mit seinen dicklich-bläßlichen Oberschenkeln vibrierte – und um mich war es geschehen. Sicher, diese Augen waren es, aber...
Sagen Sie mal: Waren Sie jemals bei einem Psychologen?
Nein, ich will nichts über meine dunklen Seiten erfahren.
Sie haben eine Wut, weil Sie soviel Lebenszeit auf Tennisplätzen verloren haben.
Ich will darüber nicht nachdenken. In Boris sah ich was Ungestümes, ich hab' das für mich immer „büffelig“, genannt, gepaart mit dieser Zärtlichkeit für seinen Schläger ...
So wie Sie reden ...
Nein, reden Sie mir nichts ein. Die Sache ist vorbei. Ich weiß, ich hatte ein Rad ab ...
Wohl eher ein ganzes Radlager: Das verrückte Anhimmeln hat Sie doch Hunderttausende gekostet ...
Mehr als das. Deswegen will ich auch gar nicht in meiner Seele rumbohren, freudmäßig auf der Couch liegen, will nicht aus Expertenmund bestätigt kriegen: frustrierte Geschäftsfrau, als Kleinkind vom Schnuller zu früh entzogen und so. Nein, ich hab' jetzt einen Tag gewonnen, den ich besonders feiere.
Den Tag ihrer Befreiung von Boris Becker – B-Day?
Genau. Es ist der 2. Juni.
Da wurde Benno Ohnesorg erschossen ...
Den kenne ich nicht, war sicherlich kein Tennisspieler? Nein, am 2. Juni 1993 bin ich aufgewacht, und ich wußte: Du bist jetzt frei, frei. Jetzt wirst du nie mehr zu einem Tennisspiel gehen. Und dann habe ich all meine Ordner mit dem Boris-Material, 13 Stück, die hab' ich genommen und hab' diese ganze Scheiße bei einem privaten Sonnenwendfeuer verbrannt ...
... mit Tränen im Gesicht?
I wo, das ging ohne Gefühle des Verlusts ab.
Sie hatten ja noch einen Kater namens Boris. Den haben Sie doch nicht etwa in einem rasenden Boris-Becker-Haß-Anfall umgebracht?
War nicht nötig, nein, mein Boris war ja so ein dickes, fettes Tier, acht Kilo schwer, ist an Verfettung gestorben, würde sagen: symbolischer Selbstmord.
Ziemlich zynisch, das.
Ach was. Ich freu' mich einfach! Ich bin nicht mehr das bewußtlose Opfer verrückter Leidenschaften. Ich brauch' keinen Helden mehr. Ich hab' den Absprung rechtzeitig geschafft. ER aber nicht. Interview: Arno Luik
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