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Soldaten als potentielle Polizisten

■ Die Bundeswehr ist in Nöten, und da entstehen die dollsten Vorschläge, wo man die Wehrpflichtigen hinschicken könne: Der Kanzler spricht von weltweiten Katastrophenhilfscorps, Johannes Gerster ...

Die Bundeswehr ist in Nöten, und da entstehen die dollsten Vorschläge, wo man die Wehrpflichtigen hinschicken könne:

Der Kanzler spricht von weltweiten Katastrophenhilfscorps, Johannes Gerster möchte die Rekruten der Polizei zur Seite stellen.

Soldaten als potentielle Polizisten

In nachrichtenarmer Zeit machen auch kleine Anregungen schnell Karriere. Mit nur zwei Interviews hat die Union für Tage die Meinungsführerschaft in Fragen der Wehrpflicht und der humanitären Auslandshilfe übernommen.

Wenn es nach dem Bundeskanzler geht, werden Zivildienstleistende künftig weltweite, strapaziöse Dienstreisen unternehmen. Im Interview mit dem Fernsehmagazin „Fakt“ sprach sich Kohl für den Aufbau eines zivilen Hilfskorps für humanitäre Einsätze im Ausland aus.

Einen „freiwilligen Polizeidienst“ brachten die Innenpolitiker der Union ins Gespräch: Wehrpflichtige könnten dann zwischen einem zweijährigen Dienst bei der Polizei und dem Kasernendienst wählen. Johannes Gerster, Vizechef der CDU/CSU-Fraktion, machte sich im Hessischen Rundfunk für den Vorschlag stark. Der Dienst für die Freiwilligen soll mit einer Grundausbildung beginnen, später sollen die jungen Männer leichte Polizeiaufgaben übernehmen und so die Berufspolizisten entlasten.

Was aussieht wie eine Offensive zur Zukunft der Bundeswehr, sind tatsächlich unfertige und mit den zuständigen Ministern offensichtlich nicht abgesprochene Überlegungen.

Denn das Verteidigungsministerium fühlt sich für das Thema Hilfskorps gar nicht zuständig. Auf der Hardthöhe ist nicht einmal bekannt, ob Chef Volker Rühe das Thema mit dem Kanzler schon besprochen hat. Nur soviel gilt als sicher: Die Hilfskorps wären nicht dem Verteidigungsministerium unterstellt. Und: Anders als Nachrichtenagenturen verbreitet haben, ist die weltweite Katastrophentruppe vom Kanzler angeblich nicht als Alternative zum Wehrdienst gemeint.

Das Kanzleramt interpretiert die von Kohl im Urlaub gemachten Äußerungen freilich ganz anders: Nicht nur als staatliches Angebot für Freiwillige, sondern natürlich auch als Einsatzort für Zivildienstleistende sei das Hilfskorps gedacht. Danach müßte sich der bislang schweigende Verteidigungsminister des Themas doch annehmen.

Im Kanzleramt erwartet man, daß ein Hilfskorps die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen entlastet. Ziel sei eine „staatliche Instanz“, die bei Katastrophen wie in Ruanda vor Ort helfen und die Aktivitäten verschiedener deutscher Organisationen koordinieren könne. Anders als beim US-amerikanischen „Peacecorps“ geht es aber nicht allgemein um Entwicklungs-, sondern ausschließlich um Katastrophenhilfe.

Die Idee des Kanzlers ist nicht einmal neu. Prompt reklamierte für die Sozialdemokraten deren Verteidigungsexperte Walter Kolbow gestern die geistige Urheberschaft für das Hilfskorps: Die Koalition habe noch im Mai entsprechende SPD-Anträge in Bundestagsausschüssen abgelehnt. Wenn es nach der SPD geht, würde das Korps Männern und Frauen offenstehen und die Potentiale von Bundeswehr sowie von privaten Hilfsorganisationen bündeln.

Die Liberalen scheinen derweil über das zivile Hilfskorps gespalten. Generalsekretär Werner Hoyer befürwortet die weltweite humanitäre Einsatztruppe, sein Fraktionskollege Jürgen Koppelin zeigt sich skeptisch.

Dafür gibt der Unionsvorschlag, Wehrpflichtige in die Polizei zu stecken, der FDP die Gelegenheit, sich als Wahrer des Rechtsstaats zu profilieren. Im Interview mit der in Berlin erscheinenden BZ lehnte Generalsekretär Hoyer ähnlich wie die SPD den Polizei-Vorschlag als „absolut undurchdacht“ ab. Sein Argument: „Er untergräbt die Wehrpflicht.“

Die Wehrpflicht ist tatsächlich gefährdet. Schon seit den Haushaltskürzungen zur Jahreswende war klar, daß die Bundeswehr ihre Obergrenze von 370.000 Mann gar nicht finanzieren kann. Seither hagelt es von allen Seiten Vorschläge, wie die drohende Ungerechtigkeit beim Wehrdienst zu verhindern sei.

Für Wehrpflichtige ist es nämlich kaum einzusehen, warum ebenfalls tauglich gemusterte Gleichaltrige davon verschont bleiben sollen, fünfzehn Monate ihres Lebens an den Bund zu verschenken. Nur manche ziehen aus diesem Befund die radikale Konsequenz und fordern, die Wehrpflicht ganz abzuschaffen und die Bundeswehr zu einer Streitkraft von Profis zu machen.

Zwar haben auch klassische Demokratien wie die USA oder Großbritannien auf die Wehrpflicht verzichtet. Aber selbst in der Friedensbewegung gibt es Stimmen, die eher ungeliebte Musterungsbescheide für alle in Kauf nehmen als Profisoldaten. Die Wehrpflicht, so argumentieren sie, wirke sich zivilisierend auf die Soldaten aus und binde sie an die Gesellschaft.

Eine breite öffentliche Diskussion über die Zukunft der Bundeswehr steht deshalb schon lange an. Ernsthaft führen will sie zweieinhalb Monate vor der Bundestagswahl aber kein Koalitionspolitiker – auch Soldaten und Wehrpflichtige sind empfindliche Wähler.

Kein Wunder, daß die jüngste Diskussion über Polizeidienst und Hilfskorps von Bündnis 90/Die Grünen als in der Sache wenig gehaltvolles „Sommertheater“ eingestuft wird. Für den Einsatz bei Katastrophenfällen, so Pressesprecherin Anne Nilges, gebe es doch zivile Einrichtungen wie die Caritas, das Rote Kreuz und das Technische Hilfswerk. Auch der Unionsvorschlag zur Polizei kommt Nilges bekannt vor. „Dieses alte Ding“, so ihre Einschätzung, „wird in der Sommerpause immer wieder aus der Kiste geholt.“ Hans Monath, Bonn

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