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„Juden trösten Deutsche“

Interkulturelles Projekt mit Mädchen aus dem historisch beladenen Dreieck Israel-Palästina-Deutschland im Jagdschloß Glienicke  ■ Von Martina Kretschmann

Juden als Täter und Opfer, Araber als Unbekannte, Deutsche als Neonazis – eine Fülle von Stereotypen, historischen Verstrickungen und Identitäten prallte kürzlich in der Internationalen Begegnungsstätte Jagdschloß Glienicke aufeinander. Ein deutsch-israelischer Jugendaustausch der besonderen Art fand in der zweiten Julihälfte in den idyllischen Schloßbauten direkt am Wasser statt. Aus Israel waren nämlich außer sieben jüdischen auch sieben palästinensische Mädchen angereist.

„Man kann sich nicht immer nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern muß auch in die Zukunft blicken“, meint Rosy Peisker, stellvertretende Leiterin in Glienicke, und hält die deutsch-jüdische Exklusivität bisheriger Jugendbegegnungen zwischen den beiden Staaten für überholt. Die Einbeziehung von Palästinenserinnen sowie die ausschließlich weibliche Besetzung sorgte noch vor zwei jahren beim zuständigen Fachausschuß des Ministeriums für Jugend, Familie und Frauen in Bonn für Irritationen. 1994 werden die israelischen Träger in den offiziellen deutschen Richtlinien für den Jugendaustausch zum erstenmal „ermutigt, arabische Teilnehmer in den Austausch mit einzubeziehen“. Offensichtlich will man sich auch hier den veränderten Realitäten im Nahen Osten nicht länger verschließen.

Das Mädchenprojekt entstand vor drei Jahren auf einer internationalen Frauenkonferenz in Glienicke: „Empowerment of Women“ und interkulturelle Verständigungsprozesse im komplizierten und historisch beladenen Dreieck Israel-Palästina-Deutschland sollten so miteinander verbunden werden. Neben Rosy Peisker aus Berlin war auch Babila Espanioly aus Nazareth dabei: „Als feministische Frauen wollen wir junge Mädchen unterstützen, sich selbst kennenzulernen und ihre Identität als Frauen zu entwickeln.“

Die studierte Psychologin arbeitet in Nazareth im Frauenzentrum Al'Tufula und außerdem in Haifa bei „Isha I'Isha“ (ungefähr: Frauen für Frauen), einem „gemischten“ Frauenzentrum im Norden Israels. „Gemischt“ heißt: jüdische und palästinensische Frauen betreiben gemeinsam ein nicht-staatliches Frauenzentrum, das Ende der siebziger Jahre aus der modernen israelischen Frauenbewegung entstanden ist. Diese Palästinenserinnen kommen jedoch nicht etwa aus der Westbank, sondern sind israelische Staatsbürgerinnen, die im sogenannten Kernland Israels leben, also in den Grenzen von 1949.

„Wir verstehen uns auf jeden Fall als Teil der israelischen Friedensbewegung. Koexistenz ist meiner Meinung nach nur möglich, wenn beide Seiten ihre eigene Identität kennen und bewahren können“, ergänzt Nathalie Brochstein vom Frauenzentrum „Isha I'Isha“. Heute integriert das Zentrum feministische und Friedensarbeit. Das war aber nicht immer so, wie Nabila erläutert: „Die Frauenbewegung in Israel hat die nationale Frage lange ignoriert. Ich als Palästinenserin konnte mich nicht als Teil dieser Bewegung fühlen. Das hat sich erst mit der Intifada 87/88 geändert.“

Gleichberechtigte Zusammenarbeit von Juden und Palästinensern ist in Israel noch eher die Ausnahme. Das zeigt sich zum Beispiel an der dort üblichen Bezeichnung „israelische Araberinnen“, die die politische Identität der Palästinenserinnen verleugnet. Die verschiedenen Lebenswelten überschneiden sich kaum, und so gibt es auch wenig Gelegenheit, die andere Seite kennenzulernen. Genau das war der Hauptgrund für die jungen Mädchen aus Israel, an dem Austausch teilzunehmen: „Ich wollte gerne Palästinenserinnen treffen“, stellt Tali klar. „Für mich war es schwer, hierher nach Deutschland zu kommen, meine Familie würde nie nach Deutschland fahren oder deutsche Produkte kaufen.“ Die Palästinenserin Ranja kannte Juden vorher „nur als Soldaten, die Araber töten“. „Ich habe nie mit einem jüdischen Mädchen gesprochen: nun haben wir viele Gemeinsamkeiten entdeckt und werden den Kontakt auch zu Hause halten“, hofft sie.

Das Interesse der deutschen Teilnehmerinnen richtet sich eher auf die jüdischen Israelinnen. Christina aus Zeuthen bei Berlin „interessiert sich für den Holocaust“ und wollte mal „die jüdische Seite selber kennenlernen“, während für Anne aus Friedrichshain auch der Friedensprozeß im Nahen Osten „im Hintergrund eine Rolle spielt“.

In den Äußerungen der jungen Mädchen bleibt die deutsch-jüdische Vergangenheit seltsam unkonkret, das Reden darüber scheint noch ungewohnt, die Begriffe unsicher, wenn es zum Beispiel heißt, die Juden seien in die Konzentrationslager „verschickt“ worden. Die jüdischen Mädchen wiederum hatten auch Ängste angesichts von Anschlägen wie der auf die Lübecker Synagoge oder das KZ Buchenwald.

Rosy Peisker setzt auf die Begegnung, auf das Kennenlernen, auf Selbsterfahrungsarbeit durch Malen, Tanzen, Yoga- und Atemübungen: „Das Eigene zu entdecken, um das Fremde wahrnehmen zu können, die Entwicklung des eigenen Selbstwertgefühls ist für mich die Voraussetzung für politische Arbeit.“ So wurde auch der Besuch der Gedenkstätte für die Deportationen am S-Bahnhof Grunewald eingebettet in ein verbindendes Ritual, bei dem alle Mädchen sich im Kreis stehend an den Händen faßten. Dieses Erlebnis, bei dem „Juden Deutsche trösteten“ (Christina) hat die jungen Frauen stark beeindruckt.

„Ich glaube, daß wir Mädchen eher bereit sind, andere zu akzeptieren, zu vergessen, zu vergeben und offener sind für Veränderungen als Jungs. Jungen hängen eher an ihrer Meinung und an ihren Vorurteilen“, meint Hila aus Israel, und die Palästinenserin Ranja betont: „Die Jungs aus meinem Dorf können machen, was sie wollen. Aber wir Mädchen brauchen solche Gelegenheiten, andere Mädchen kennenzulernen und unsere Meinungen als Frauen auszudrücken. Wir haben vieles gemeinsam, egal welcher Nation wir sind.“

Es lag wohl nicht nur an der nahöstlichen heißen Wetterlage – in Israel „Chamsin“ genannt –, daß vor allem die jüdischen und palästinensischen Mädchen sich nähergekommen sind. Nabila kennt das schon: „Ein fremder, ein dritter Ort ermöglicht oft erst das Erkennen des Gemeinsamen.“ Ähnlich mag es den Ost- und Westberlinerinnen gehen, wenn sie im Oktober nach Israel fahren und dort je vier Tage bei jüdischen und palästinensischen Familien wohnen werden.

Die Rückbegegnung in Israel im gleichen Jahr ist fester Bestandteil des Konzepts, das Rosy Peisker auch im nächsten Jahr fortführen möchte, „wenn das Schloß uns trotz Sparmaßnahmen so erhalten bleibt und sich genügend interessierte Mädchen aus Berlin finden“.

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