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Draußen gab's Bagel

Kann man als Jude nach Berlin ziehen? Gab es Schwule im jiddischen Kino? Sind die Sepharden die Neger der israelischen Gesellschaft? Bericht vom jüdischen Filmfestival in San Francisco  ■ Von Glen Helfand

Mit der „jüdischen Visibilität“ ist es in San Francisco nicht besonders weit her. Es gibt zwar eine recht stattliche Gemeinde, aber prägnante äußere Zeichen wie Stirnlocken, Striehmel oder koschere Restaurants sind seltene Erscheinungen. Statt einer identifizierbaren Neighborhood fädeln sich die Juden am Ort in ein lebendiges Netzwerk von Gemeindezentren, Synagogen und Organisationen ein, die ihrerseits Teil größerer Zusammenhänge sind (zum Beispiel des Aids-Aktivismus). Nichts ist leichter, als gar nicht als Jude aufzutreten.

In diesem Zusammenhang leuchtet einem ein, daß das jüdische Filmfestival nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine soziale Funktion hat. Es ist seit vierzehn Jahren der größte nicht religiöse Versammlungsrahmen von Juden in der San Francisco Bay Area; im vergangenen Jahr waren 28.000 Leute gekommen.

Das vierzehntägige Filmfestival begann, bevor es in die etwas jüdischere Gegend um Berkeley herum zog, im Castro Theater, einem Kino mitten im Schwulenviertel. Transvestiten, schwule Paare und jüdische Intellektuelle standen Schulter an Schulter nach den Bagels an, die ein Sponsor vor dem Eingang verteilte.

Die 32 Filme folgten einem ähnlichen „Vermischungsgebot“, und sollten keine Zerreißprobe jüdischer Gegenwart auslassen. Nahöstliche Positionsbestimmungen, das unterschiedliche Verhältnis, das Aschkenasen und Sepharden, also europäische und orientalische Juden zu Israel haben gehörten dazu; aber auch die Frage, wem die Erinnerung an den Holocaust nun „gehört“ – alles Themen, die hier nicht allzu oft eine Öffentlichkeit gefunden haben.

Die Eröffnungspräsentation, Edgar G. Ulmers jiddischer Film „Amerikaner Schadchen“ (die Schadchen waren die Heiratsvermittler der Schtetl-Gemeinden) von 1940 funktionierte als süße Nostalgie mit seinen Musikeinlagen und den kleinen Shtikl; andererseits wurde er einem Close Reading unterzogen, das allerhand in diesem Zusammenhang Ungewohntes zutage förderte. Es stellte sich nämlich heraus, daß dieser reiche Junggeselle, der ins Heiratsvermittlungs-Business einsteigt, vielleicht doch nicht so unschuldig ist an dem Scheitern seiner Verlobungen.

Es scheint, mit anderen Worten, daß der Protagonist schwul ist; in seiner Darstellungsweise bestätigt der Film die neuerdings publizierte Hypothalamus-Theorie, nach der Homosexualität physiologische Ursachen hat. Das freute besonders im Castro Theater, wo jiddischer Film bislang oft eher als Folklore mit festgelegtem Hetero- Personal galt.

Die meisten Charaktere des Films sprechen sowohl jiddisch als auch englisch, Ausdruck einer Kultur im Transit – auch dies ein „Reading“ aus San Francisco. Shirley Ulmer, die Drehbuchautorin und Witwe des Regisseurs, war zur Vorführung im Kino und sprach über das Distributionsnetzwerk des Films, der über Pessach in mehreren Kinos von Manhattan gelaufen war. Sie bestätigte durchaus die Vermutung, daß es einen schwulen Subtext im „Amerikaner Schadchen“ gäbe. Kontrovers ging es zu, als es um die Beziehung zwischen der Bundesrepublik und den Juden ging, vor allem denen, die gegenwärtig dort leben. „Berlin: Past and Present“ ist eine wohlkomponierte Zusammenstellung zweier Fernsehproduktionen, nämlich „Gefilte Fish“ von Holly Jane Rahlens und „Ohne mich“ von Dany Levy, die Berlin als gesegnete und verfluchte Heimat beschreiben.

Rahlens' Beitrag besteht aus launigen Interviews mit jüdisch-amerikanischen Tänzern, Kabarettisten und Musikern, die sich in Berlin zu Hause fühlen. Es wird eingerahmt von einer Partei, auf der die befragten sich getroffen haben und gefillte Fisch kochen.

Ihr Film war die optimistischere Variation zu Levys paranoidem und von scharzem Humor durchzogenen Blick auf den zunehmenden Neonazismus in der Stadt, der ein jüdisches Leben wenn nicht unmöglich, so doch gefährlich erscheinen läßt. Die Zuschauer lachten zwar über die kleinen Anspielungen auf das Klischee vom sturen Deutschen, aber das Gespräch nach dem Film nahm ernstere Dimensionen an. Ein Zuschauer, der darüber nachdenkt, nach Berlin zu ziehen, war sichtlich irritiert über diese gegensätzliche Sicht der Stadt. Rahlens sprach von einer Schuld-Kultur, die Deutsche dazu brächte, unbedingt mögen zu wollen, was jüdische Künstler machen. Levy wiederum hatte seine Zweifel, daß „ein Jude ohne Angst in Deutschland leben kann“.

Im Jahr nach dem Start von „Schindlers Liste“ zeigte das Festival zwei Filme, die der Frage nachgehen, wem der Holocaust „gehört“. „The Last Stop“ wurde 1948 von der polnischen Regisseurin Wanda Jakubowska gedreht, die politische Gefangene in Auschwitz war. Indem er sich auf die Geschichten von Lagerhäftlingen konzentriert, die nicht jüdisch waren – Polen, Zigeuner, politische Geiseln und Frauen –, fügte ihr Film einer von Juden „für sich“ reklamierten Erfahrung eine neue Dimension zu. Ihr Film ist eher als historisches Dokument interessant, nicht so sehr als dramatischer Spielfilm. Jakubowska, eine etwa achtzigjährige Nichtjüdin, brachte das Publikum allerdings gegen sich auf, als sie die Behauptung, es gäbe einen polnischen Antisemitismus, eine „Lüge“ nannte. Erstaunlicherweise wollte das Publikum aber selbst in solchen Momenten nicht einfach abbrechen, sondern weiterdiskutieren.

Auf ebenso dornigem Terrain bewegte sich „Balagan“, Andres Veiels Porträt einer israelischen Theatergruppe [taz vom 21.4.], die sich bilderstürmend auf das stürzen, was sie die „Religion des Holocaust“ nennen. Blasphemische Gesten wie das Auftätowieren von Häftlingsnummern oder die Entweihung eines Memorials sind inzwischen eine Art Markenzeichen des Akko Theaters. Gleichzeitig bietet der Film erschreckende Einsichten in die komplizierten Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern. Ein Ereignis des Festivals, das vom Publikum mit großem Interesse, aber wenig spontanen Reaktionen zur Kenntnis genommen wurde.

Das Programm enthielt auch erhellende Spielfilme, die sich mit den Animositäten zwischen aschkenasischen und arabischen Juden im Nahen Osten beschäftigen. Filme wie der mitreißende „Moi, Bajou“, eine französische Produktion, oder „Zohar“, das formelhafte und dennoch mitreißende Porträt eines sephardischen Pop- Stars, geben ungewöhnliche Einblicke in ethnische Spannungen, das Leben während des Krieges und auch den Zustand der israelischen Filmindustrie.

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