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Kühl bis in die Fingerspitzen

Zwischen babystehlenden Putzfrauen und lagerfeldbezopften Talk-Show-Moderatoren: In Fred Canadas „Rebirth US“ werden die Schwächen der Großstadtkommunikation ausgelotet  ■ Von Thorsten Schmitz

Jeden Sommer dasselbe Theater mit dem Theater: die großen und mittelkleinen verfallen probehalber in Tiefschlaf. Das alleingelassene Publikum muß folglich seinen Durst nach Bühne bei den hunderttausend Off-Gruppen stillen, denn nur die spielen bei 40 Grad im Schatten. Und viele spielen ohne Worte. Das heißt: bis zur Unkritisierbarkeit schlecht. Über „Rebirth US“ hingegen zu berichten ist jede Zeile ihr Geld wert. Eine kleine Sensation hatte am Donnerstag abend im Amerikahaus (klimatisiert!) Premiere. Und auch, wenn Sie heute abend schon etwas vorhaben: sagen Sie ab, gehen Sie zum Zoo.

Alles begann an diesem Abend wenig vielversprechend: der ständig unter Starkstrom stehende Regisseur, Fred Canada, kontrollierte die Tickets, der gewendete Islamist Cat Stevens sang von einer besseren Welt, und zwischen den zwei Einaktern huschten zielgerichtet Vera Löffelholz („Associated Manager“) und Kimberley Nelson („Production Manager“) zum Stühlerücken mit auf die Bühne.

Wie man sich täuschen kann! In „The Baby Game“ sitzen eine schwarze Frau (Sheri Hagen) und eine weiße (Claudia Wegner) nebeneinander in einem Wagen der New Yorker Subway. Nora, die Schwarze, liest Newsweek, die weiße Henriette hält ein Baby in den Armen. Nora ist höchst geschwätzig, quetscht ihre Sitznachbarin nach deren sexuellen Vorlieben aus. Und schielt auf das Baby: „Bist du sicher, daß dein Baby noch lebt? Ist so ruhig.“

Der Dialog, der sich zwischen beiden entwickelt, hat streckenweise etwas Oberlehrerhaftes. So tief also, denkt man zunächst, ist die Kluft noch immer zwischen Schwarz und Weiß: Nora hatte auch mal ein Baby, hat es aber abgegeben, weil sonst nichts aus ihr geworden wäre. Jetzt putzt Nora in der Upper East Side Manhattans, dort, wo Yoko Ono wohnt. Der Zug hält auf offener Strecke, weil sich jemand auf die Gleise geworfen hat. Und Nora weiß sofort, wie „verzweifelt die Schwarzen sind“, die sich vor U-Bahnen werfen müssen.

Henriette, hamburgisch kühl bis in die Fingerspitzen, schluckt Noras Aufdringlichkeit ziemlich souverän. Läßt sich auf das verbale Katz-und-Maus-Spiel ein. Und gibt zum Schluß sogar ihr Baby aus dem Arm, nur damit sie mal in Noras Roman blättern kann. Doch darauf hat es Nora abgesehen, sie gibt Henriette ihr Kind nicht mehr zurück.

Und als man bereits zu interpretieren geneigt ist, wieso der schwarze Regisseur Canada in seinem Stück ausgerechnet die Schwarze böse sein läßt, schreit jemand aus dem Off „Schnitt!“, und zwischen die Frauen tritt eine Schießbudenfigur von Moderator. Er grient in die Kamera und schwenkt sein Lagerfeldzöpfchen, dankt den beiden Frauen fürs Mitmachen bei „Amerikas einziger werbeblockfreier Talk-Show“. Die Verwirrung ist komplett: Alles nur inszeniert? Oder doch wahr?

Wo andere Theater spätestens zur Pause läuten, beginnen bei „Rebirth US“, wie die Talk-Show heißt, die letzten Minuten, bevor das rote Kameralicht leuchtet. Das Applaustape wird vor- und zurückgespult, das Make-up-Mädchen kann sich nicht mehr an die Zahlenkombination ihres Schminkkoffers erinnern, so daß Talk-Master Mike (Charles McDaniel) in Schweiß badet, und der Kameramann feilt währenddessen an der besten Einstellung.

Dann reißt Mike die Augen auf, als hätte er zehn Ecstasy-Pillen geschluckt, erklärt die Talk-Show für eröffnet – und begrüßt wortgewaltig seinen eigentlich einzigartigen Gast.

Dessen äußere Erscheinung ist eine Enttäuschung: T-Shirt, klobige Turnschuhe, häßliches Vertreterjackett. Aber sein Charme und sein lippengeschürztes Lächeln machen alles wett. Samuel/ Gabriel („Sam is okay or Gabi with an i“) ist von Beruf Engel. Ein schwuler dazu. Um zu beweisen, daß er tatsächlich vom Himmel kommt, sagt Sam „Engel“ – und es blitzt und donnert.

Gestenreich und mit zusammengekniffenen Knien beklagt Sam die gestörte Kommunikation unter den Erdenmenschen und bringt mit seinem Tip, alle sollten mehr schlafen und die Klubs vor Mitternacht schließen, den Moderator zum Stottern. Immer, wenn dem die Fragen ausgehen, zischt er, die Hände beschwörend gefaltet: „Sooo, Saaaam...“

Der sympathisch taktlose Engel läßt Mike nie im Stich, selbst dann nicht, wenn Mikes Neid auf Amerikas berühmteste Talk-Masterin Oprah Winfrey so groß wird, daß ihm die Tränen kommen. Sam und Mike zuzugucken und zuzuhören ist ein Hochgenuß: Bis ins Detail sitzen Witze und Gesten, Mimik und Sprachfluß. Und selbst als zum Schluß die Talk-Show eine katastrophale Wendung bekommt, beherrschen die zwei ihr Metier: Der Engel als sensibler Richter und Berufsschwätzer Mike als selten sprachloser Angeklagter.

Vor laufender Kamera bricht Mike zusammen, weil ihn erst ein Engel daran erinnern mußte, daß er seinen an Aids gestorbenen Bruder im Stich gelassen hat.

„Rebirth US“ läuft noch heute, 5.8. um 20 Uhr im Amerikahaus, Hardenbergstraße 22–24, U-Bahn Zoologischer Garten. Kartenreservierung: 87 79 11.

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