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Zwischen den RillenErgötzlichkeiten bey der Tafel

■ Frühbarocke „Ambient Music“, im Sinne der Erfinder rekonstruiert

Die Idee einer Musik, die gespielt wird, damit man sie nicht hört, ist nicht so neu, wie manche Vertreter aktueller „Ambient Music“ gerne behaupten. Erik Satie (1866 bis 1925) kann mit seiner „Musique d'Ameublement“ als Vorläufer gelten, aber auch die Instrumentalmusik des Frühbarocks, die ähnlichen Zwecken diente. Als Beiläufigkeit modelliert, bestand ihre Aufgabe darin, bei den Banketten der Noblen für „Ergötzlichkeiten bey der Tafel“ zu sorgen. Festmahle mit zig Gängen, die oft Stunden dauerten und einem strikten Zeremoniell gehorchten, verlangten eben nach Unterhaltung. Dafür gab es die Hofkapelle. Sie bot keine gespreizte Tonkunst, sondern Klänge, die sich als Teil der Tafelfreuden „still, sanft und lieblich“ im Hintergrund hielten, um nicht die Plaudereien bei Tisch zu stören.

Ursprünglich galt England als Domäne der Tafelmusik – mit zahlreichen Verbindungen zum Kontinent. Notensammlungen der Briten William Brade und Thomas Simpson – in Hamburg herausgegeben – zirkulierten, englische Musiker standen an europäischen Höfen in Diensten, und zahlreiche Komödiantengruppen von der Insel waren mit Spielmusik und Tandaradei auf dem Festland unterwegs.

Von ihnen übernahmen deutsche Komponisten das Modell des Violen-Consorts, wie es die Formation La Gamba verkörpert. Sie verfügt über sämtliche Mitglieder der Violen-Familie – von der Violone (Baß) über Tenor- und Alt- bis zur Diskantgambe.

Bei der Viola da Gamba handelt es sich um eine Vorgängerin der Geige, die allerdings in allen Lagen in Cellohaltung gespielt wurde. Das mit Bünden versehene Streichinstrument war aus der spanischen Vihuela hervorgegangen und hatte sich durch eine Vertreibung der Juden von der Iberischen Halbinsel im 16. Jahrhundert in ganz Europa verbreitet (wobei es sich vor allem in England großer Beliebtheit erfreute, wohin es von italienischen Musikern gebracht worden war).

In der deutschen Consortmusik ist der Einfluß des englischen Vorbilds deutlich spürbar. In den Kompositionen von Johann Hermann Schein (1586 bis 1630) und Samuel Scheidt (1587 bis 1630) tauchen Spielfiguren und satztechnische Kniffe auf, wie sie auf der anderen Seite des Kanals in Gebrauch waren.

Auch wenn diese Tanzstücke in Anmut und Wohlklang nicht ganz an den verfeinerten englischen Stil heranreichen – die Franzosen sprachen bewundernd von der „contenance angloise“ –, so kann sich doch die unprätentiöse und makellose Art der Interpretation von La Gamba mit der hohen Kunst der besten Ensembles dieses Genres messen.

Zu ihnen zählt das international besetzte Locke-Consort. Das 1985 gegründete Spitzenensemble für Alte Musik, das seinen Namen vom englischen Komponisten Matthew Locke entlehnte und mit zwei Barockviolinen, Viola da Gamba und Theorbe (einem Lauteninstrument) in seiner Besetzung genau das Ensemble kopierte, das Locke am Hofe Karl II. leitete, hat sich ebenfalls auf die Interpretation barocker Saitenmusik spezialisiert. Insbesondere gilt ihr Interesse einem Zeitraum in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in England als „The World of Purcell“ bekannt. Henry Purcell (1659 bis 1695), Komponist des Hofes und späterer Organist von Westminster Abbey und der Chapel Royal, war die einflußreichste Musikerpersönlichkeit seiner Epoche, die noch ganz im Zeichen der „Suite“ stand (eine der wichtigsten musikalischen Errungenschaften des 17. Jahrhunderts, in deren Satzfolge sich unterschiedliche Tanzstücke abwechselten).

Durch die Einbeziehung einer Komposition von John Jenkins, der einer älteren Generation angehörte, schlägt das Locke-Consort die Brücke zur frühen Consortmusik eines William Byrd und John Dowland, zeigt aber auch, wie die „Suite“ durch eine neue „komponierte Unterhaltungsmusik“ aus Italien gegen Ende des 17. Jahrhunderts langsam abgelöst wird, „welche man Sonate nennt“. Sie weist schon ins nächste Jahrhundert hinüber. Christoph Wagner

La Gamba/Ekkehard Weber: „Deutsche Consortmusik“. Ars Musici 1096-2.

The Locke Consort: „The World of Purcell“. Globe/Helikon GLO 5058.

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