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Verfall, Verwesung, Vergangenheit

■ Eine abenteuerliche Besichtigung des ehemaligen Wilhelmsburger Bunkers Von Andrew Ruch und Markus Scholz

Unwirklich und bedrohlich wirkt dieser Ort. Nicht ein Sonnenstrahl kann bis hierher vordringen – auch die Beleuchtung funktioniert schon lange nicht mehr. Zwei Taschenlampen und fünf Bauleuchten müssen hier aushelfen. Fallen sie aus, sind wir hoffnungslos verloren. 40 Meter tiefe Löcher, gespickt mit Stahlträgern, scharfe Betonkanten in Kopfhöhe und ein Labyrinth von Gängen können den Ausflug schnell zum letzten Ereignis in unserem Leben werden lassen.

Verwesungsgeruch zieht durch das Treppenhaus. Plötzlich knackt es unter den Füßen. Rasch den Lichtkegel der Taschenlampe auf die Stufen gerichtet – Dutzende von Taubenkadavern liegen im Aufgang und in den oberen Etagen des Bunkers. Dazwischen etliche Nester mit Eiern und Küken. Tod und Leben hautnah nebeneinander – eine Verbindung, die zum Wilhelmsburger Flakbunker paßt.

Zum Töten wurde er 1942 in der Neuhöferstraße gebaut, auf seinem Dach standen vier Flug-Abwehr-Kanonen (Flak). Große Teile des Bunkers dienten ausschließlich dazu, die Geschoßhülsen aufzunehmen, aber er sicherte auch das Überleben, denn von 1943 bis 1945 bot er rund 7000 Menschen Schutz, die hinter seinen zwei Meter dicken Mauern Zuflucht vor den Bomben suchten.

Nicht einen einzigen Treffer mußte der über 50 Meter hohe Betonbau in dieser Zeit einstecken. Nach Kriegsende, erst am 16. Oktober 1947, schleppt die englische Siegermacht alles, was irgendwie Sprengkraft hat, in das Gebäude, sogar mehr, als notwendig scheint – nur um ganz sicher zu gehen. Die Soldaten legen die Ladungen direkt um die inneren, zwei mal zwei Meter dicken Stützsäulen. Hunderte Meter um den Bunker herum riegelt die Polizei alles ab. Letzte Fotos werden gemacht, dann die Sprengung.

Die Säulen knicken weg, vier Stockwerke des Bunkers brechen zusammen. Staub- und Rauchwolken hüllen den gesamten Komplex ein. Doch nachdem der Qualm verflogen ist, kann es jeder sehen: Die 78.000 Kubikmeter grauen Stahlbetons stehen da wie eh und je, groß und erdrückend – so präsentiert der Bunker sich auch heute noch, 47 Jahre nach der gescheiterten Zerstörung.

Die Treppe zum ersten Stock gibt es noch, der Weg führt über teilweise einen Meter hohen Taubenkot, die Füße sinken ganz in das rutschige Etwas ein. Doch weit und breit keine Spur von den Vögeln. Des Rätsels Lösung liegt in den Rohrschächten für die ausgebrannten Geschoßhülsen, die vom Dach bis ins Erdgeschoß reichen und in denen die Tauben seit Generationen mit Vorliebe brüten.

In der ersten Etage angekommen, führt der Weg nur noch über Schutt weiter – und dann ist sie zu sehen: die Wucht der Explosion vor 47 Jahren. Vier Stockwerke kann man nach oben schauen. Die riesigen Stützsäulen hängen nur noch als Stummel von der Decke des sechsten Geschosses. Die Atmosphäre ist erdrückend. Angst steigt auf. „Das hängt da fast 50 Jahre“, sagt der sonst mutige taz-Fotograf Markus Scholz mit einem Unterton, der signalisiert, daß ihm nicht ganz wohl bei der Sache ist. Der Aufstieg führt nun über kleine, moderne Aluleitern, die einen Betonhaufen mit dem anderen verbinden. Langsam wird klar, daß Bauhelm und Taschenlampe doch etwas wenig Ausrüstung für solche Abenteuer sind.

Von außen ist der Klotz zugewachsen: „Wir haben den Bunker Anfang der 80er Jahre für 90.000 Mark begrünen lassen“, erklärt Volker Maaß von der Garten- und Friedhofsabteilung des Bezirksamts Harburg. Man habe auch Eisenbahnschwellen auf die Auskragung – die obere Plattform – des Gebäudes gelegt, damit die Erde nicht beim nächsten Regen weggeschwemmt wird. „Dann pflanzten wir eine Vielzahl von schlingenden und selbstrankenden Pflanzen.“ Efeu, Pfaffenhütchen und selbstrankender Wein verdecken heute große Teile grauen Betons. Oben, in den vier ehemaligen Flakgeschützstellungen, wachsen Pappeln, Weiden und Birken.

Im sechsten Stock gibt es wieder eine Treppe, die gesamte Etage ist begehbar – doch warum ist nicht auch diese Decke zusammengestürzt, wo doch alles darunter zerstört ist? Nach diesen Überlegungen scheint es angebracht, schnell eine Etage höher, auf das Dach zu steigen. „Das entschädigt für alles“, ruft Markus, und er hat recht: Ein wunderbares Hamburg-Panorama läßt alle vorherigen Ängste und Strapazen vergessen. Bei klarer Sicht ist sogar der Bunker auf dem Heiligengeistfeld zu sehen, der dem Wilhelmsburger Bunker in den Dimensionen nahezu gleicht.

Eine Aussicht, die schon manchen Investor dazu bewog, dort Wohnungen zu planen. Ein hoffnungsloses Unterfangen, denn ein Abriß würde 15 bis 40 Millionen Mark kosten und etwa zwei Jahre dauern, denn eine Sprengung kommt wegen in der Nähe liegender Häuser nicht in Frage. Auch das letzte Projekt, das des Architektenbüros Spenglin und Baum, scheiterte. Die Firma plante eine Bebauung um das Gebäude herum. „Kein Statiker wollte unterschreiben, daß der Bau so stehenbleibt“, erklärt Gernot Baum.

Wir befürchten instinktiv dasselbe und sind froh, als wir den gruseligen und feuchten Bunker verlassen. Nicht ohne ein Souvenir mitzunehmen – Taubenflöhe.

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