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Neuköllner Disneyland für 1 Groschen

Die Neue Welt an der Hasenheide zwischen Bier- und Spiegelzelt in Zille sein Milljöh – eine Publikation des Neuköllner Bezirksamtes dokumentiert die Geschichte einer Berliner Plaisierkaserne zwischen Suff und Politik  ■ Von Caroline Roeder

„Ein herrlicher Jodler beendet die Schaustellung auf der Bühne. Rauschender Beifall. Bayern in Berlin!“ Ort der Lustbarkeit war die Neue Welt in der Hasenheide, eine der großen „Vergnügungsörter“ für den kleinen Mann und die kleine Frau. Bis zu 6.000 BesucherInnen pro Abend zählte allein das Bockbierfest, das Ende des vorigen Jahrhunderts eingerichtet wurde. Als Dekoration Alpenkulisse, ein Kraxlsteg führte zur Gebirgsterrasse, von der man auf einer Rutschbahn in die johlende Menge zurückgeführt wurde: Statt Urlaub in Bayern das Tschinderassa und Alpenglühen für den Arbeiter nach Feierabend.

Bis 1982 war dieses Haus erhalten, eine kleine Broschüre vom Bezirksamt Neukölln dokumentiert anschaulich und reich bebildert die über hundertjährige Geschichte dieses Ortes.

Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Hasenheide noch Ziel für eine Fahrt ins Grüne. Brauereien siedelten sich am Stadtrand an, errichteten Ausschankgebäude neben ihren Fabriken für die Ausflügler. So entstanden Veranstaltungsorte der einfachsten Art, ein bißchen Rummelplatz, Schwoof zur Leierkastenmusik und viel Bier. Immer weitere Gebäude wurden gebaut, 1880 erhielt der Ort den Namen Neue Welt.

Zur Eröffnung war ein „Gala- Riesen-Pracht-Land- und Wasser- Feuerwerk“ angekündigt, zusätzlich im Programm finden sich Feuerinszenierungen mit der irritierenden Genrebezeichnung „Kriegsschauplatz-Theater“. Hier waren u.a. „Die große Völkerschlacht bei Leipzig“ oder die „Seeschlacht von Aboukir“ zu sehen: virtuelle Schlachtenwelten zum Jahrhundertende.

Neben den verschiedenen Restaurationen und Tanzsälen dienten ein Hippodrom, eine Freiluftmanege für Ringkämpfe, eine Varieté-Bühne, eine Teichanlage sowie diverse populäre Rummelplatzangebote der Vergnügung. Artisten und Gaukler zeigten ihre Nummern, und eine elektrische Eisenbahnstrecke nebst Tunnel verweist auf die modernen Zeiten. Wie Disneyland 1900 kommt einem das Amüsierangebot vor, das überwiegend von kleinbürgerlichen und Arbeiterkreisen genutzt wurde. Zehntausende verlustierten sich hier für einen Groschen Eintritt.

Im Ersten Weltkrieg zum Lazarett umfunktioniert, erlebte die Neue Welt in den 20er Jahren nochmals ein Vergnügungshoch. Doch auch als Veranstaltungsort für politische Versammlungen wurden die Räumlichkeiten genutzt. Die organisierte Arbeiterschaft und die KPD belegten bis dahin vornehmlich die Räume, aber in den 30er Jahren eroberte sich auch die Rechte das Podium. Blutig endende Schlägereien zwischen SA-Truppen und den angestammten linken Neuen Weltlern folgten. Im Dezember '30 hatte Hitler hier einen Auftritt, Goebbels agierte auf zahlreichen Wahlkampfveranstaltungen, bei denen es Suppe und Brot mit Wurst und Margarine umsonst gab. Die Neue Welt wurde immer mehr zur Brot- und-Spiele-Örtlichkeit.

Während der Nazizeit wurde das Programm natürlich arisiert. Die Berliner Hausfrau veranstaltete das Sommerfest mit Marschmusik und altdeutschen Tanzpotpourris, nach 1942 wurde selbst dieser Reigen wie jegliche öffentliche Unterhaltungsveranstaltung verboten. Nach Kriegsende hielten SPD und KPD in den ramponierten Sälen ihre ersten Großveranstaltungen ab. 1946 wurde der große Saal umgebaut, ein neues Foyer wurde 1956 in kastenförmiger Nierentischmanier vor den Hauptsaal gesetzt. Boxkämpfe sollten neue Publikumsmassen akquirieren und das Bockbierfest wurde wieder eingeführt.

Die Veranstaltungen waren fürs breite Publikum konzipiert, das allerdings ausblieb. Mit Konzerten wie dem der Walker Brothers sollte die Jugend herbeigelockt werden, auch Lindenberg näselte hier sein „Alles klar auf der Andrea Doria.“ Doch nichts war klar für die Neue Welt, das Programm war zu inhomogen.

Die Studentenbewegung mit ihrem Raumbedarf für Diskussions- und Solidaritätsveranstaltungen war für die Veranstalter eine rettende Einnahmequelle. Bis Ende der 70er brachte das öffentliche Diskutieren der Neuen Welt gute Verdienste, doch im Frühjahr 1982 mußte wegen Mietschulden dann endgültig geschlossen werden. Zwar wurde das Haus 1985, nachdem ein solventer Investor gefunden war, wiedereröffnet, die Tradition und der Charme des Ortes wurden dabei allerdings wegsaniert.

Dennoch paßt es ganz gut zu dem Ort, daß heute in der Konzerthalle „Huxley‘s Neue Welt“ wieder Musik ertönt. Einst wie heute geht die deutsche Geschichte in den Nebenräumen ihren Gang. Das jüngere Publikum tanzt hier ab, an dem Ort, wo man sich einst zum Kaiserwalzer drehte oder so vor sich hin schuhplattelte. Um das Gebäude weht sanft die Kohl-Ära der achtziger Jahre, weiß gekachelte Eisbar inklusive . Es hat schon Schlimmeres erlebt.

Lothar Uebel: „Die Neue Welt an der Hasenheide: Über hundert Jahre Vergnügen und Politik“. Hrsg. Bezirksamt Neukölln von Berlin, 80 Seiten.

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