: Nach 33 Jahren vier Monate Räumungsfrist
■ Iranische Familie durch Richterspruch obdachlos? / Charlottenburger Bürgermeisterin zur Beschlagnahmung von leerstehenden Wohnungen aufgefordert
Mit Zurückhaltung hat die Charlottenburger Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel (SPD) gestern auf die Bitte der Iranerin Resa Dabui um eine Wohnraumbeschlagnahmung reagiert. Die Iranerin, die seit 32 Jahren mit ihrer Familie in der Charlottenburger Lindenalle lebt, ist von Obdachlosigkeit bedroht. Vorangegangen war ein ebenso vielbeachtetes wie skandalöses Räumungsurteil des Berliner Landgerichts vom 31. Januar 1994, das den Dabuis, die seit 33 Jahren im Haus Lindenallee 28 leben, eine nur viermonatige Frist zur Räumung ihrer Wohnung gelassen hatte.
Resa und Mehrangis Dabui kamen vor 32 Jahren aus dem Iran nach Berlin. Seitdem leben sie in dem Mietshaus nahe des Theodor- Heuss-Platzes. Als das Haus vor 17 Jahren für rund 1,7 Millionen Mark den Eigentümer wechselte, sahen sich die BewohnerInnen des Hauses ständigen Schikanen ausgesetzt. Besonderes Ziel der unverschämten Attacken des neuen Eigentümers Gerd Lehmann wurden die Dabuis. Er begann damit, regelmäßig nachzufragen, wann die Dabuis ihre Sachen packen und endlich in den Iran zurückkehren, steigerte sich über Beschimpfungen bis hin zu üblen, rassistischen Demütigungen: Wenn der Hauseigentümer Lehmann Frau Dabui begegnete, hielt er sich demonstrativ die Nase zu. „Ich schmeiß euch alle raus!“ soll er gesagt haben, bevor er begann, die iranische Familie mit mehr als sechzig Abmahnungen und rund einem Dutzend Strafanzeigen zu verfolgen. Die handelten von verbotener Haustierhaltung, über Nichtabschließung der Haustür bis hin zu Taubenfütterung. Neben insgesamt 20 erfolglosen Prozessen steigerte er seinen Terror gegen die Dabuis. So ließ er zum Beispiel den Teppichläufer im Treppenhaus vor der Tür der iranischen Familie abschneiden. Sogar ein Mordanschlag soll zum Szenario gehört haben. Ein ehemaliger Mitarbeiter des Eigentümers sagte bei der Polizei aus, daß Lehmann ihm 20.000 DM angeboten habe, wenn er die „Kurden“ beiseite schaffen könne. Darüber hinaus habe Lehmann ihn gefragt, ob er nicht in der Lage wäre, eine ferngesteuerte Bombe zu bauen.
Die Staatsanwaltschaft hat diese Verfahren nach Paragraph 31 Strafgesetzbuch eingestellt, weil der Vermieter keinen weiteren Versuch machte, den Mordplan auszuführen. Dafür gab das Gericht seinerzeit einer Klage des Vermieters statt, der die Familie Dabui beschuldigte, ihn „schwule Sau“ genannt zu haben. Ohne daß für diese Beleidigung ein direkter Beweis erbracht werden konnte, urteilte das Landgericht unter dem Vorsitz des Richters Siegfried im Sinne des Vermieters. Im Urteilsspruch vom 31.1.1994 sah es die Kammer als erwiesen an, daß die schwerwiegende Beleidigung gefallen und somit eine Räumungsklage berechtigt sei. Die Wohnung sei binnen vier Monaten zu räumen.
Gegen das Urteil hatten die Dabuis Klage beim Verfassungsgericht eingereicht. Das verschaffte ihnen zunächst einen Aufschub. Doch bereits im Vorfeld teilte das Verfassungsgericht mit, daß es die Klage aller Wahrscheinlichkeit nach verwerfen würde.
Nun sieht die iranische Familie keine andere Möglichkeit, als auf politischem Weg gegen diese juristische Ungeheuerlichkeit vorzugehen. Doch das gestrige Vorsprechen bei der Charlottenburger Bezirksbürgermeisterin Monika Wissel brachte vorerst keinen Erfolg. Auf den Hinweis von Frau Dabui, daß im Haus Lindenallee 28 fünf Wohnungen seit mehreren Jahren leerstünden, zeigte sich die Bezirksbürgermeisterin zwar betroffen, aber an eine Wohnraumbeschlagnahmung, wie sie bereits in Steglitz und Kreuzberg durchgeführt wurde, denke sie nicht. Sie müsse sich erst mal die Akten ansehen. Peter Lerch
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