: Ableben und Bestatten
■ Der Wiener ist ein Meister des Todes und goutiert a schöne Leich'. Die Kriminal- und Bestattungsmuseen der Nekropolis Wien vermitteln ein Stück Kulturgeschichte
Wenn der Tod ein Meister aus Deutschland ist, dann ist der Österreicher, besonders der Wiener, ein Meister des Todes. Seine Hochachtung für 'a schöne Leich' ist Legende, und so ist, wer was auf sich hält, in Wien begraben. Jeder Tourist weiß aus einschlägigen Reiseführern, daß zu einem zünftigen Besuch der k.u.k. Stadt die Besichtigung diverser Friedhöfe und Prominentensterbezimmer gehört.
Kenner der Materie indes lassen Mozart und Kollegen links unten liegen. Sie wissen: Wer wirklich etwas Besonderes erleben wollte, ist nicht einfach gestorben in Wien, sondern hat sich zünftig ermorden lassen. Denn wenn es spektakulär und blutrünstig genug war, dann darf man hoffen, im Kriminalmuseum todeslänglich geehrt zu werden.
Hier lernt der Besucher, quer durch die Jahrhunderte, von der phantasiereichen Vielfältigkeit des gewaltsamen Tötens und Sühnens: mittelalterliche Halseisen („Schandgeigen“), glühende Zangen, (Hin-)Richtschwerter oder Richträder, mit denen Scharfrichter, immer cora publico, aufs allerfeinste der Bösewichter Glieder brechen und ausreißen konnten. Oder wie der Kriegsminister Graf Latour zu Revolutionszeiten 1848 gelyncht wurde, zerstückelt und zertrampelt. „Bluttriefende Mörder in wildem Freudengeheul“ seien, so bezeugt es ein Originaldokument des Vorfalls, am Werk gewesen.
Beeindruckend auch die Löcher in menschlichen Schädeln, erwirkt zu Zeiten des „Anarchistenterrors 1884“ durch sputnikförmige Bomben, die mal geworfen, geschleudert oder als Paket geschickt wurden. Der Schädel des Mädchenmörders Hugo Schenk ist im Original zu bewundern – die Knochen sollten, so der heutige Museumstext, Erkenntnisse „über die Abnormität des hingerichteten Blutverbrechers ermöglichen“.
Zitate wie dieses zeigen, mit welch epochenüberschreitender Inbrunst und Sensibilität sich die Museumsbetreiber – sowohl Bundespolizeidirektion Wien als auch der Privatmann Magister Harald Seyrl – dem Thema hingegeben haben. Etwa im Fall jener wüst mordenden Weibsperson der Jahrhundertwende, die, so die Texter 93, zwar „nicht übel von Gesicht und Wuchs“ gewesen sei, wohl aber wegen ihres zweifelhaften Lebenswandels von einer „theresianischen Keuschheitskommission beamtshandelt“ worden war. Indes: Es nutzte alles nichts, sie wurde zur Killerin, sodann durch richterlich verordneten Tod jeder weiteren Beamtshandlung entzogen.
Ab der Jahrhundertwende gibt es Originalskelette, -totenschädel und zeitgenössische, gern blutüberströmte Fotografien. Die zum Teil überlebensgroßen Fotos zeigen die Toten manchmal auch stückweise, wie etwa beim 1910er Meuchelmord an der Louise Weiss, deren Torso und abgehackte Beinteile zu bewundern sind. Aus dem Mordjahr 1960 ist ein blutverschmiertes Tatmesser in der Vitrine, von 1973 die perfide Tatwaffe des „Bleistift-Mordes“ an der bedauernswerten Gabriele Kargischek.
Seit Kriegsende werden die übelsten Grausamkeiten durch die wichtigsten Zeitungsberichte anschaulich unterstrichen. Damit wird auch belegt, wie die Originalkollegen der Fernsehkommissare Kottan und Marek so manches Wiener Mörderlein überführen konnten.
Ein einziger Toter unter den Hunderten von Hingemordeten ist nicht aus Wien. Wie selbstverständlich, als eine Art verehrter Urahn der Mordopfer, hängt sein Corpus inmitten all der anderen Mordfälle in der Wiener Leichengalerie. Ohne jeden Hinweis, ohne erläuternden Text. Ein Rätsel – wäre sein Fall nicht so bekannt und vieldiskutiert bis auf den heutigen Tag. INRI steht auf dem Holzkreuz.
Was uns unheimlich und makaber erscheint, gilt in Wien als ein Stück Kulturgeschichte: Der Gang durchs Kriminalmuseum möge, so der Prospekt, „zu einem neuen Verständnis für die Vergangenheit führen“, ergo solle „das dunkle Wien wieder lebendig werden“. Wo die Thematik des Kriminalmuseums endet (beim Ableben), setzt der Auftrag des Bestattungsmuseums nahtlos ein: Hier will man „einen Überblick über die Entwicklung des letzten Dienstes“ aus vier Jahrhunderten geben.
Dies tut erwartet hingebungsvoll und sachkundig der Herr Museumsreferent Heinz Riedel, der die Besucher vor einem feingearbeiteten Friedhofsgitter mit veritabler Sensenmann-Silhouette empfängt. Riedel, Angestellter des städtischen Begräbnisamtes, präsentiert das Allerlei des allerletzten Ganges: Sargträgerkostüme, kunstvolle Bahrtücher, Gala- und Prachtleichenwagen oder ein „Stilett zur Vornahme des Herzstichs“. Und er preist die Technik aus verblichenen Leichenzeiten: Etwa den patentierte Rettungswecker für Scheintote im Grabinnern, der automatisch bimmelte, wenn sich der scheinbar Leblose noch bewegte: „Aber fragen Sie mich nicht“, bittet Riedel, „ob es oft geklingelt hat.“ Sicher sei indes, es habe „einige gekrümmte Leichen gegeben“.
Vitrinen zeigen die Entwicklung der Leichenportraitfotografie und die Kulturgeschichte der Todesanzeigen. Riedel erzählt von der Krematoriumstechnologie (Originalurne mit testverbranntem Pferd), zeigt eine „mundgeblasene Glasüberurne“, berichtet vom „Sturm der Entrüstung“, als Kaiser Josef 1784 zur Holzersparnis wiederverwendbare Klappsärge einführen wollte, und erläutert neueste Erkenntnisse von der „Devota“, Österreichs Bestattungsmesse – etwa die Vorzüge kunstfaserfreier Bio-Urnen aus Weichholz mit Bienenwachs. Und er präsentiert auch jene preiswerten Holzkästen für ganze 350 Mark: „Nach einem solchen Sargpreis werden Sie in Deutschland lange suchen.“
Die Bewunderung für einen Kardinalssarg des 19. Jahrhunderts führt der Todesfachmann Riedel in die pietätlose Jetztzeit: Ein Dieb sei dieser Tage in die Kardinalsgruft des Stephansdoms eingedrungen, habe den Sarg erbrochen und (allerdings erfolglos) versucht, den Kardinalsring von der armen Leich' abzustreifen. „Entsetzlich“, sei das, schüttelt der Leichologe Riedel den Kopf, als Fachmann wisse er schließlich nur zu gut, „in welch schrecklichem Zustand der arme, hochwürdige Herr ist“. Bernd Müllender
Information: Kriminalmuseum
Wien, Große Sperlgasse 24,
Tel.: 2144678
(geöffnet Di. bis So., 10–17 Uhr)
Bestattungsmuseum Wien,
Goldeggasse 19, Tel.: 5019227
(nur mit Führung und vorheriger Anmeldung)
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