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Jubelbereitschaft

Und Kampf und Einsamkeit im Mauseloch. Bericht über eine ungewöhnliche Lesung von Martin Heideggers Biographen Rüdiger Safranski  ■ Von Dieter Thomä

Während einer Lesereise mit seinem neuen Buch gelangt der renommierte Biograph Rüdiger Safranski auch in den Himmel. Die Kunde, nun liege die erste umfassende Biographie über Martin Heidegger vor, hat sich dort oben im Reich der Dahingeschiedenen rasch verbreitet. So tritt der Autor, durchaus ein bißchen eingeschüchtert, vor illustrer Runde zur Lesung an. Der große Philosoph selbst sitzt unter den Zuhörern, ganz vorn in der ersten Reihe. Hannah Arendt hat seitlich hinter ihm Platz genommen; sie trägt, wie zu der Zeit, als Heideggers Leidenschaft für sie entbrannte, ein elegantes grünes Kleid. Karl Jaspers, einst Freund und Gegenspieler, besteht wegen seiner Krankheit wie schon auf Erden darauf, fünf Meter hinter den anderen berühmten Zuhörern in der Ecke Platz zu nehmen; und schon beginnt die Lesung „Ein Meister aus Deutschland“.

„Sie waren wirklich ein ,Meister‘“, sagt Safranski zu Heidegger gewandt: „Sie haben ein Denken gefunden, das den Dingen nah bleibt und vor dem Absturz in die Banalität bewahrt.“ Heidegger flüstert dazwischen: „Meinen wir Nähe, meldet sich Ferne.“ „Sie waren wirklich sehr ,deutsch‘“, fährt Safranski fort: „Zutage tritt das Liebenswerte, Faszinierende und Abgründige des deutschen Sonderweges in der Philosophie, der zum europäischen Ereignis werden sollte.“ Heidegger wirft ein: „Nur von den Deutschen kann... die weltgeschichtliche Besinnung kommen.“ Safranski hebt warnend die Hände und sagt: „Sie hatten durch Ihren politischen Umtrieb auch etwas von jenem ,Meister aus Deutschland‘, von dem in Paul Celans Gedicht die Rede ist.“ Da klingt dessen Stimme von Ferne, wie aus einem anderen Himmel, herüber: „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland.“

Heidegger ist nicht besonders erbaut darüber, daß eine Biographie über ihn erschienen ist; ihm würde, so sagt er, ein Satz genügen: „Er wurde geboren, arbeitete und starb.“ Aber Safranski läßt sich nicht abhalten, ein eindrucksvolles Panorama jener Zeit zu entfalten, in der Heidegger seinen großen Auftritt vorbereitete, und damit stößt er bei seinen Zuhörern auf allgemeine Anerkennung. Vicki Baum ist geschmeichelt, daß auch in ihren Romanen das „Man“ beschrieben sein soll, Ernst Bloch nimmt billigend, freilich ein wenig unwillig zur Kenntnis, daß er „am verwandten Problem“ gearbeitet habe. Nur Adorno, der vom Nationalsozialismus ins Exil getrieben wurde und sich dann selbst ins ästhetische Exil versetzt hat, verläßt wortlos den Raum, als Safranski erklärt, er habe den Odenwald mit ähnlichen „metaphysischen Lyrismen“ gefeiert, „wie Heidegger seinen ,Feldweg‘“.

Dada-Philosophie

Fast alle fühlen sich verstanden und getroffen, mag auch Heidegger selbst den Kopf darüber schütteln, daß er so etwas wie einen „dadaistischen Auftritt in der Philosophie“ inszeniert haben soll. Hannah Arendt schwärmt, er sei damals als „heimlicher König“ angesehen worden, und Jaspers erinnert sich, er sei in der Tat „unter den Zeitgenossen der erregendste Denker“ gewesen, „herrisch, zwingend, geheimnisvoll“. Heidegger selbst bemerkt, er habe lediglich „aus seinem ,ich bin‘ und seiner geistigen überhaupt faktischen Herkunft“ gearbeitet: „Mit dieser Faktizität wütet das Existieren.“

Fast scheint es, als habe Safranski etwas von jenem „Gerechten“, der in jedem großen Erzähler der Vergangenheit stecken soll. Mit seinem Bericht über jene berühmt- berüchtigte Zeit, als Heidegger als Nazi-Rektor in Freiburg Furore macht, erntet er auch unter Verfolgten von einst vereinzelt Beifall. Einige andere scheinen freilich erleichtert, daß Safranski zu manchen Archiven keinen Zugang gefunden hat, und über das Gesicht Heideggers, der die ganze Zeit verkrampft dagesessen hatte, huscht ein Lächeln – ein listiges? –, als Safranski resümiert: „Ihre Philosophie half ihnen auch, sich wieder vom politischen Umtrieb zu befreien.“ Zur „ursprünglichen Rettung des Abendlandes“ wollte Heidegger dann nicht mehr mit „Einsatz“ für das Volk, sondern mit „Gelassenheit“ beitragen.

Bei der „Eigentlichkeit“, so Safranskis Deutung, ging es Heidegger „um die Eröffnung von Chancen für große Augenblicke, um Intensitätssteigerung des Daseins: „Im ersten Anlauf (bis ,Sein und Zeit‘)“ sei er bei diesem Unternehmen freilich noch „steckengeblieben“, habe es „im besten Falle zur Entschlossenheit“ gebracht. Später jedoch – Safranski wirft einen fast schwärmerischen Blick auf Heidegger – „stimmten Sie die Erfahrung des Seins auf ein Seinsverhältnis ein, das – fromm ist; andachtsvoll, meditativ, dankbar, ehrfürchtig, gelassen.“ Er nimmt den Mut zusammen und bringt sein Heidegger-Bild in einen Satz: „Die Seinsfrage in Ihrem Sinne bedeutet, das Dasein lichten, so wie man die Anker lichtet, um befreit in die offene See hinauszufahren.“ Da stößt er auf Widerspruch. Heidegger habe es immer vorgezogen, so sagt er, im Faltboot „auf Fahrt zu gehen, freilich nur erst auf einem ungefährlichen Wasser.“ Die offene See scheint ihm gar nicht geheuer, er meint, er wolle „nicht ausschweifen in unerfahrene Bereiche.“ Jedenfalls müsse man darauf achten, „das Tau für die Segel in die Hand zu bekommen und nach dem Wind zu sehen.“ Er will es sich nicht nehmen lassen, den Wind des „Geschicks“ zu nutzen, und ist ganz irritiert, als die verträumte Stimme Hölderlins, der doch sein dichterischer Vorläufer sein soll, erklingt: „Uns wiegen lassen, wie auf schwankem Kahne der See.“ Schon Platon habe doch gesagt, bemerkt Heidegger trotzig: „Alles Große steht im Sturm.“ Davon hätte er lieber nicht reden sollen, denn nun meldet sich mit starkem Akzent eine Stimme von ganz hinten. Es ist der ehrwürdige Platon selbst, der erklärt, diese Übersetzung sei blanker Unsinn, er habe vielmehr gesagt, alles Große sei „bedenklich“, „zum Fallen geneigt“. Heidegger schweigt beleidigt, doch da meldet sich Elisabeth Blochmann, die langjährige Freundin, und bemerkt, auch ihr sei genau dieses Schwankende bei Heidegger immer aufgefallen, er selbst habe ihr einmal geschrieben, zum Leben gehöre „notwendig die Herbheit des Gespaltenseins, der Rückfälle und neuen Anläufe, das unaustragbare Leiden am Problematischen und Fragwürdigen.“

Des Mannes Arbeit

Diesen widersprüchlichen, abgründigen Heidegger will Safranski nicht sehen. Er entwirft das Bild eines „glücklichen“ Heidegger, dem gar „eine ganz besondere Art von Eigentlichkeit“ zuteil geworden sei, nämlich die große Liebe zu Hannah Arendt. Heidegger seufzt, ja, das sei „die Passion seines Lebens“ gewesen. Doch nun beginnt Jaspers zu schimpfen: Daran genau zeige sich doch das Zwiespältige an Heidegger, daß er in seiner Philosophie der „Liebe“ keine Chance zur „Eigentlichkeit“ gebe und „statt dessen die Förderung eines unbekümmerten ,Mutes zu sich selbst‘“ betreibe. Elisabeth Blochmann erinnert Heidegger daran, daß er ihr zur Zeit der Affäre mit Hannah geschrieben habe: „Die Arbeit des Mannes ist ... auf den Kampf gestellt und die Einsamkeit“. Er senkt den Kopf, doch Safranski hat eine Lösung parat.

Wenn es schon zu Lebzeiten nicht zur Hochzeit von Heidegger und Hannah Arendt gekommen ist – diese zischt dazwischen, Frau Elfride habe ihm „25 Jahre ... die Hölle auf Erden“ gemacht –, so hält Safranski am Ende die philosophische Hochzeit zwischen beiden für eine geradezu ideale Kombination. Über diese Ankunft ist Hannah Arendt gerührt und pikiert zugleich, schließlich sei es für Heidegger zu Lebzeiten immer „unerträglich“ gewesen, daß sie Bücher geschrieben habe, und man habe immer so getan, „als ob dies nicht existiere.“

Aber Safranski bleibt hartnäckig und sagt zu Heidegger, der immer noch mit gesenktem Kopf dasitzt: „Hannah Arendt hat Sie besser verstanden, als Sie sich selbst verstanden haben ... Sie hat Ihrer Philosophie ... jene Weltlichkeit gegeben, die ihr noch fehlte. Auf das ,Vorlaufen in den Tod‘ hat sie geantwortet mit einer Philosophie der Geburtlichkeit ...; auf die Kritik der ,Verfallenheit‘ an die Welt des ,Man‘ hat sie geantwortet mit dem ,amor mundi‘“, der Liebe zur Welt; und „auf Ihre ,Lichtung‘ antwortete sie, indem sie die ,Öffentlichkeit‘ philosophisch adelte. So erst wurde aus Ihrer Philosophie etwas Ganzes, aber Sie haben es nicht bemerkt.“

Einen solchen Theorie-Mix findet sogar Heidegger kurios, in erregtem Stakkato bemerkt er: „In der Philosophie kein Kompromiß. Also anfangen, echt anfangen, auf den Anfang zugehen“. Safranski will nicht als Kompromißler gelten und verteidigt sich mit dem Hinweis, das „Anfängliche“ habe Heidegger selbst doch so verstanden, daß man lebenslang „Anfänger“ sei und im „Unterwegs“ bleiben müsse; also müsse er auch für Hannah Arendts Ergänzungen offen sein. Heidegger winkt ab und erklärt, man müsse „dort innehalten, wo der einzige Gedanke eines Denkweges in sein Gefüge eingeschwungen ist“, sein Weg führe „zurück dahin, wo wir schon sind“, ihm gehe es nicht um Aufbruch, sondern um „Einkehr“. Hölderlin, der sich in der von Heidegger vorgesehenen Rolle als Dichter des „Anfangs“ nicht recht wohl zu fühlen scheint, ruft dazwischen: „Zu Haus' ist der Geist nicht im Anfang, nicht an der Quell.“ Da steckt Adorno, der draußen gelauscht hat, kurz den Kopf zur Tür herein und nickt ihm begeistert zu.

Ödland Öffentlichkeit

Heidegger will sich Safranskis Empfehlung nicht fügen, daß zu der „Offenheit, auf die auch Sie hinauswollen“, schließlich „Öffentlichkeit“ dazugehöre. Sein Urteil fällt knapp aus: „Die Weltöffentlichkeit ... ist nicht der Ort, an dem das Geschick des Menschenwesens sich entscheidet.“ An welchen Ort er statt dessen denke, wird gefragt. Wieder ist seine Antwort kurz: „Die Hirten wohnen unsichtbar und außerhalb des Ödlandes der verwüsteten Erde.“ Hannah Arendt lacht bitter und sagt: „Das ist ja doch in Wahrheit nur das Mauseloch, in das Du Dich zurückgezogen hast“, um Dich „aus allem Unangenehmen rauszuschwindeln.“

Das Mauseloch hat Heidegger längst Richtung Himmel verlassen, doch es klingt erschreckend hämisch, als er jetzt auf die Erde herabblickt und sagt: „Es gibt auch den Menschheitstod; es ist auch nicht zu begründen, weshalb das, was jetzt den Planeten bevölkert, ins Endlose weiterexistieren soll.“ Mit diesen Worten entläßt er seinen Biographen, der zögert, ob er unter diesen Umständen überhaupt wieder zur Erde heimkehren und sich unter jene verkommenen Wesen mischen soll.

Trotzig behauptet er: „In der Seinsfrage verbirgt sich die Bereitschaft zum Jubel“, doch seine Zuhörer haben sich schon lautlos zurückgezogen, und inzwischen sind ihm auch Zweifel gekommen, ob er das Bild Heideggers nicht in zu warmen Farben gemalt habe, ob ihm dieses Bild der „Leidenschaften und Katastrophen des ganzen Jahrhunderts“ nicht doch zu kitschig geraten sei.

Rüdiger Safranski: „Ein Meister aus Deutschland. Heidegger und seine Zeit“. Carl Hanser Verlag, 538 Seiten, geb., 58 DM

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