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Die Republik röchelt weiter

■ Neue Studie: Reizgas Ozon wird für Deutschland zum Dauerbrenner / Neuer Ozonalarm in Hessen

Berlin (taz) – Die Ozonwerte steigen, die Republik röchelt, die Diskussion ums Tempolimit läuft ungebremst weiter. Und für die Zukunft drohen uns noch heftigere und längere Sommersmog-Perioden. Wärend Hessen erneut Ozonalarm auslöste, hat das Umwelt- und Prognose-Institut Heidelberg (UPI) für die nächsten 10 bis 15 Jahre einen Anstieg der Intensität und Dauer der erhöhten Ozonbelastung um 30 bis 40 Prozent vorausgesagt.

Institutsleiter Dieter Teufel macht für diese Entwicklung die fehlgeleitete Verkehrspolitik der Bundesregierung verantwortlich. Die Zunahme von Auto- und Flugverkehr sowie leistungsstärkere Motoren machten die Wirkungen von Katalysatoren und „sauberer Technik“ zunichte. Die Verpestung mit Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen, die das Ozon entstehen lassen, bleibt deshalb auf dem gegenwärtigen Niveau. Da aber zugleich die UV- Strahlung noch schlimmer wird und die Temperaturen eher steigen als sinken, wird der Ozonalarm für die Bundesrepublik zum Dauerbrenner.

Der Wissenschaftler sieht einen Teufelskreis: Während des Sommers verschärfe das Ozon den Treibhauseffekt erheblich und erzeuge höhere Temperaturen, die dann wiederum zu mehr Ozon führten. Mehr Ozon heizt wiederum das Treibhaus an und so weiter ...

Ein Sprecher des Umweltbundesamtes kritisierte die Aussagen des UPI als „sehr gewagt“. Dagegen unterstützte Jill Jäger vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie Teufels Thesen.

Zum dritten Mal binnen zwei Wochen ist in Hessen gestern Ozonalarm ausgelöst worden. An neun der 33 Meßstellen war der Ozonwert über den Grenzwert gestiegen. Auf Autobahnen darf nicht schneller als 90, auf Landstraßen nicht schneller als 80 gefahren werden. Auch in Schleswig- Holstein, wo heute die Sommersmogverordnung in Kraft tritt, steht der erste Ozonalarm vor der Tür. Im gesamten Bundesgebiet wurden gestern ebenfalls hohe Ozonwerte gemessen.

Derweil stritten Politiker und Verbände weiter munter ums Tempolimit. Die Gewerkschaft der Polizei forderte Geschwindigkeitsbegrenzungen während der Sommermonate, nachts allerdings könne man die Autobahnen für Tempoanbeter freigeben. Die Autobauer fahren weiter im Geschwindigkeitsrausch: Ein allgemeines Tempolimit schade nur der Industrie, funkte Erika Emmerich vom Verband der Automobilindustrie aus ihrem Frankfurter Bunker. Mehr Einsicht zeigen die Bundesbürger: Laut einer ZDF-Umfrage befürworten sensationelle 69 Prozent ein allgemeines Tempolimit, gar 86,3 Prozent sprechen sich für gebremste Fahrt bei gesteigerten Ozonwerten aus, 70 Prozent sprachen sich in der Umfrage sogar für ein Fahrverbot aus.

Die SPD ist sich indes weiter uneins: Rechtsaußen Horst Niggemeier nannte in der BZ die Debatte um das Tempolimit unnötig, die Umwelt- und Verkehrspolitiker Michael Müller und Christoph Zöpel fochten für Geschwindigkeitsbegrenzungen. Der bayerische Umweltminister Thomas Goppel forderte statt eines Tempolimits geregelte Dreiwegekatalysatoren in ganz Europa.

Eine Gruppe von Düsseldorfer Eltern fordert vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf von der Landesregierung NRW schleunigst landesweite Verkehrsbeschränkungen zur Ozonreduzierung. Der BUND Berlin initiierte gestern eine Ozonkampagne: Mit Briefen an den Verkehrssenator sollen die Berliner Tempo 30 in der Stadt fordern, außerdem Vorschläge für einen besseren Nahverkehr machen. Lorenz Redicker

Siehe Ökolumne Seite 6

und Debattenbeitrag Seite 10

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