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Ermattete Voyeure

Getanzte Folter kann etwas sehr Schönes sein. Helena Waldmanns Performance „Sainte-Sebaste“ im Frankfurter Mousonturm  ■ Von Birgit Glombitza

Im Foyer fließt Blut. Der Lebenssaft von „Sainte-Sebaste“ rinnt durch Schläuche, tropft auf Zuckerstückchen-Quader. An den Wänden hängen blütenweiße Stoffe, in denen saftig-rote Stichwunden klaffen. Fleischstücke, in denen noch die Pfeilspitzen stecken, liegen aufgebahrt in einem Schrein. Überrest an Überrest, Wunde an Wunde. Der Mythos des Hl. Sebastian, ausgestellt in einer klinischen Serie schaurig- schöner Reliquien-Sets. Die Tür zur Studiobühne öffnet sich. Klangnebel und schwelende Geräusche lassen die Besucher andächtig verstummen. Eine Tänzerin, androgyn und unnahbar schön, steht auf einem Podest und schon eine ganze Weile auf Zehenspitzen. Ihr Kopf ist rasiert. Eine Bandage drückt ihre Brüste flach. Sie ist Sainte-Sebaste, die Hauptfigur in Helena Waldmanns Performance, der zweiten Produktion der ehemaligen Tabori-Assistentin für den Frankfurter Mousonturm. Italienische Renaissance-Gemälde, auf denen der Heilige dem Pfeilhagel seiner Peiniger mit überlegenem Lächeln trotzt, haben die Regisseurin zu dem neuen Projekt inspiriert. Helena Waldmann spitzt den Legenden-Stoff zu auf das Kippmoment zwischen Schmerz und Lust, Erotik und Form, visueller Allmacht und Ohnmacht.

Wie auf den Sebastian-Bildern der Renaissance ist das Martyrium auch in ihrer Inszenierung bereits in vollem Gange.

Sobald sich die Hacken der Tänzerin (Angélique Willkie) dem Glasboden nähern, scheinen akustische Signale sie wieder unbarmherzig in die Höhe zu ziehen. Von drei Lichtkegeln eingezäunt, ist sie der Mittelpunkt des Raumes, um den das Publikum auf einer Drehbühne rotiert. Plötzlich fährt ein Lichtkeil zwischen die Schulterblätter der Sainte-Sebaste. Ausgesandt hat ihn der Licht-Aggressor (Norbert Mohr). Er hockt wie die anderen „Bogenschützen“, Musik (Hubert Machnik), Gesang (Karin Niederberger) und Zauberer (Dark Denson), in einer der Raumecken und dem Zuschauer im Nacken. Sorgfältig prüft der Zauberer sein Werkzeug, wirft noch einmal hellbrennende Streusel in sein Höllenfeuer, erhitzt die Spitzen der Nadeln und Spieße und treibt sie durch die Arme der Tänzerin.

Das christliche Tötungszeremoniell wird den magischen Regeln heidnischer Rituale unterstellt. Lustvoll lehnt die Zerstochene den Kopf zurück. Von religiöser Entrücktheit keine Spur, nur zuckersüßer Genuß. Während die Folterknechte ihrer Zielscheibe nun vereint auf den Leib rücken, beschreibt sie mit sonorer Stimme und mathematischer Sprache die Architektur ihres Bühnenkörpers. Sie beginnt ihn zu zerlegen, Satz für Satz, Gliedmaß für Gliedmaß, und übersetzt das Gesprochene wieder zurück in skulpturale Gebärden: „... it places the foot to the side. The static function of the backbound arms are minimal ...“ Die Folterknechte greifen tiefer in ihre Köcher. In allen Ecken braut sich was zusammen. Feuerzischen, spitze Schreie. Und wir rotieren in einer Geisterbahn von einem Schrecken zum nächsten. Drohend hält der Zauberer eine Voodoo- Puppe hoch. Bei der nächsten Umdrehung liegt er selbst schwerelos wie ein Fluch in der Luft. Lichtbalken zerteilen den Raum, doch die Tänzerin sonnt sich darin. In der Kehle der Sängerin tanzen wütende Klang-Gnome. Ein Schrei. Glas zerspringt. Die Tänzerin zieht sich zusammen, stürzt und federt den Aufprall mit starken Armen ab. In jedem Fall bleibt sie erhaben und bildschön. Sie rutscht, klatscht auf und windet sich. Ein kraftvoller, erotischer Tanz beginnt. Ein einsamer Pogo, auf engstem Raum, der der Lust an der Verstümmelung huldigt. „Aim more precisely“, befiehlt die Heilige ihren Schändern. Und präzise zerschneidet der Zauberer ihren Unterarm.

Wenig später steht die Bühne still, der Spuk ist vorbei. Doch vor den Augen kreist es immer noch. Die Tänzerin dreht sich gegen die spiralförmige Logik eines lustvollen, grausamen Traumes, dem man sich 60 Minuten fasziniert überlassen hat. Verwundet, aber mit unangetastetem Stolz, wirft sie die Zuschauerblicke jetzt auf 54 ermattete Voyeure zurück.

„Sainte-Sebaste“, Performance von Helena Waldmann; Choreographie: Kiri McGiugan. 3. bis 7. und 9. bis 14. August, Studiobühne im Mousonturm, Waldschmidtstraße 4, Frankfurt. Anfang nächsten Jahres wird die Performance auch in Berlin, München und Hamburg aufgeführt. Die Aufführungsorte und genaue Daten stehen noch nicht fest.

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